Am Albtrauf arbeiten Schafe und Ziegen daran, dem Wald wieder ein Gesicht zu geben, wie vor 200 Jahren. Das Hutewald-Projekt wird vom Landschaftserhaltungsverband des Landkreises Esslingen gesteuert.

Neidlingen - Buchen und Linden mit majestätisch ausladende Kronen und Sonnenstrahlen, die goldgelbe Kringel auf den Waldboden zeichnen – das sind die Kennzeichen eines Hutewaldes. Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte hat es gedauert, bis weidende Ziegen und Schafe Lebensräume wie im heutigen Naturschutzgebiet Erkenbergwasen in Neidlingen geschaffen hatten. Lebensräume, die nach der Aufgabe der historischen Bewirtschaftungsform verschwunden wären, hätte der Mensch nicht rechtzeitig gegengesteuert.

 

„Noch bis vor 200 Jahren wurde alles, was vier Beine hatte, in den Wald getrieben“, sagt Esther Gerhards vom Landschaftserhaltungsverband Landkreis Esslingen. Das Grünland war für die Ziegen- und Schafherden tabu. Es wurde gebraucht, um Heu für den Winter zu machen. Die vierbeinigen Rasenmäher wurden stattdessen in die Buchenwäldern und Lindenhainen getrieben. Dort schufen sie mit ihrer Mäuler Arbeit eine ganz eigene Kulturlandschaft, in der sich heute viele inzwischen stark gefährdeten Insekten, Reptilien und Vögel wohl fühlen.

Schutz einer einmaligen Lebensgemeinschaft

Um den artenreichen lichten Wald mit seiner einmaligen Lebensgemeinschaft zu erhalten und zu schützen, haben sich die Gemeinde Neidlingen, zwei Schäfer, der Forst und die Naturschutzbehörden im Esslinger Landratsamt zusammengetan. Die Federführung für das vor zwei Jahren ins Leben gerufene Hutewaldprojekt liegt beim Landschaftserhaltungsverband Landkreis Esslingen.

„Nach den ersten beiden Jahren der systematischen Beweidung kann man die wieder offenen Waldbereiche schon gut erkennen“, sagt Esther Gerhards, die das Projekt koordiniert. Bis am Neidlinger Albtrauf allerdings wieder ein richtiger parkartiger Hutewald heranwächst, braucht es einen langen Atem bei allen Beteiligten. „Da gehen schon mal 20 bis 30 Jahre ins Land“, sagt die Projektleiterin.

20 Hektar misst die am Fuß der Schwäbischen Alb im Gemeindegebiet von Neidlingen ausgewiesene Hutewaldfläche. Bevor es so weit war, mussten allerdings zuerst eine Reihe von rechtlichen Barrieren beiseite geräumt werden. „Nach dem Forstgesetz ist es heute grundsätzlich nicht mehr erlaubt, Waldflächen landwirtschaftlich zu nutzen“, sagt Esther Gerhards. Nachdem die Ausnahmegenehmigung beschafft war und die Forstleute einige der alten Hutebäume als Starthilfe freigestellt hatte, durften sich die vierbeinigen Landschaftsarchitekten endlich ans schmackhafte Werk machen.

Aus Sicht des Artenschutzes schon jetzt ein Erfolg

Auf einer Fläche von vorerst vier Hektar wandern die Schäfer nun mit ihren Tieren von einem Teilstück zum anderen. Die jeweiligen Koppeln werden durch Elektrozäune begrenzt. Je nach Aufwuchs wird ein Bereich zwei bis drei Mal im Jahr beweidet, wobei die Schafe und Ziegen, unterstützt von zwei Eseln, die neue Futterquelle gut annehmen. Quasi als Gegenleistung verbeißen sie die aufkommende Baumsämlinge.

„Dadurch weicht die Strauchschicht nach und nach einer artenreichen Krautschicht“, sagt die Projektleiterin, die den Schäfern und Förstern bei fachlichen Fragen beiseite steht und sich um die finanzielle Förderung kümmert. Weil die Tiere in ihrem Haarkleid und in ihrem Kot außerdem zusätzliches Saatgut in den Hutewald transportieren, begrünen sich die Bodenbereiche unter den beweideten Bäumen wie von selbst.

Aus Sicht des Artenschutzes wird das Neidlinger Hutewaldprojekt schon jetzt als Erfolg gewertet. Im Altholz einer alten Buche hat sich eine Kolonie des Alpenbocks angesiedelt. Der rund drei Zentimeter lange Käfer mit der unverwechselbaren blau-weißen Zeichnung und den auffällig Fühlern ist auf Totholz angewiesen und bevorzugt dabei exponiert stehende und der Sonne ausgesetzte Buchen. Er ist europaweit streng geschützt. In Deutschland ist er nur noch in den bayrischen Alpen und auf der Schwäbischen Alb zu finden.