Ein Abgeordneter, der mit antisemitischen Klischees operiert – das ist auch AfD-Chef Jörg Meuthen des Schlechten zu viel. Er will am Dienstag den Ausschluss Wolfgang Gedeons aus der Fraktion auf den Weg bringen.

Stuttgart - Abseits rechtsextremistischer Zirkel spielen die „Protokolle der Weisen von Zion“ seit Jahrzehnten keine Rolle mehr – zumindest nicht in Europa, im Nahen Osten mag das anders sein. Dieses Pamphlet, das der Historiker Saul Friedländer als den „kanonischen Text der Theoretiker der jüdischen Weltverschwörung“ kennzeichnet, war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ein Bestseller, ein Machwerk, das alles Elend der Zeit auf die finsteren Pläne jüdischer Strippenzieher zurückführt. Die „Protokolle“, die entgegen ihrer Bezeichnung einen rein fiktionalen Charakter haben, sind ein Grunddokument des Antisemitismus. Wer sich auf sie positiv beruft, zieht den Vorwurf des Antisemitismus auf sich.

 

Der AfD-Parlamentarier Wolfgang Gedeon hat dies getan. An diesem Dienstag berät die Landtagsfraktion, wie sie mit dem Abgeordneten umgeht. Fraktionschef Jörg Meuthen erscheint diesmal zum Durchgriff gewillt. Antisemitismus werde es mit ihm weder in der Landtagsfraktion noch in der AfD geben, ließ er am Wochenende verlauten. Er will an diesem Dienstag des Ausschluss Gedeons aus der Fraktion auf den Weg bringen. Dazu muss mehrheitlich ein entsprechender Antrag beschlossen werden. Dann bleiben Gedeon fünf Werktage, von sich aus zu gehen. Tut er dies nicht, kann ihn die Fraktion mit Zweidrittelmehrheit ausschließen.

Obskure Verschwörungstheorien, antisemitische Denkmuster

Der 1947 im oberpfälzischen Cham geborene Gedeon ist Arzt. Zuletzt praktizierte er als Allgemeinmediziner in Gelsenkirchen. 2005 hörte er auf, ein Jahr später zog es ihn an den Bodensee. Im Wahlkreis Singen wurde er im März mit einem Stimmanteil von knapp 16 Prozent in den Landtag gewählt. Gedeon veröffentlichte mehrere Schriften, darunter ein voluminöses Werk mit dem Titel „Christlich-europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam“. Darin bekundet er die Ansicht, die „Protokolle“ seien „mutmaßlich keine Fälschung“. Es handle sich um die Mitschrift einer Geheimtagung. Von der Stuttgarter Zeitung um eine Stellungnahme gebeten, teilte Gedeon lediglich mit: „Bitte vergleichen Sie die Stellungnahmen der beiden Meinungsprotagonisten J. Rothkranz und Wolfgang Benz zu diesem Thema. Dann müssten Sie mein diesbezügliches Urteil nachvollziehen können.“ Bei Johannes Rothkranz handelt es sich um einen rechtsextremen Theologen, der obsessiv Verschwörungstheorien und antisemitischen Denkmustern anhängt. Wolfgang Benz ist ein renommierter Zeithistoriker, der viele Jahre in Berlin das Zentrum für Antisemitismusforschung leitete.

Der Antisemitismusvorwurf gegen Gedeon gründet nicht nur auf dessen Rückgriff auf die „Protokolle“. Er hält das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin für schlimm, Neonazis wie Horst Mahler und Holocaust-Leugner wie Ernst Zündel hebt er in den Status von „Dissidenten“. Der Rekurs auf die „Protokolle“ wiegt aber wegen deren Bösartigkeit besonders schwer. Die Nationalsozialisten machten sich das Pamphlet mit Freude zu einem Instrument ihrer Propaganda. Dessen Urheber waren sie aber nicht. „Die Protokolle der Weisen von Zion“ erschienen erstmals 1903 in Sankt Petersburg. Entstanden sind sie im Umfeld des russischen Geheimdienstes, thematisch umkreisen sie das jüdische Streben nach Weltherrschaft und die Kritik am Liberalismus. Es existieren verschiedene Fassungen, untergliedert sind die „Protokolle“ in einzelne Kapitel, welche die Rede jüdischer Führer vor einer geheimen Versammlung der „Weisen von Zion“ widergeben. Der Text, der sich auf mehrere Vorlagen zurückführen lässt, strotzt vor antisemitischer Klischees. Kostprobe: „Daher dürfen wir nicht zurückschrecken vor Bestechung, Betrug und Verrat, sobald sie zur Erreichung unserer Pläne dienen.“ Weiter: „Heute können die Mächte nicht einmal das kleinste Übereinkommen untereinander abschließen, ohne dass wir im Geheimen unsere Hand dabei im Spiel haben.“ Und: „Wir verfügen über einen unbändigen Ehrgeiz, brennende Habgier, schonungslose Rachsucht und unerbittlichen Hass.“

„Ein Gerücht über die Juden“, nennt der amerikanische Politikwissenschaftler Stephen Eric Bronner sein Buch über die „Protokolle“: „Heute wird allgemein anerkannt, dass es sich bei dem Pamphlet um eine Fälschung handelt... Allen Gegenbeweisen zum Trotz halten manche diese kalkuliert paranoiden Mythen allerdings immer noch für wahr und die Gerüchte für plausibel.“