1975 hatte der höchst produktive Neil Young die LP „Homegrown“ fix und fertig. Aber er schloss sie weg. Vielleicht war sie ihm zu privat. Nun hat er sie doch noch veröffentlicht.

Stuttgart - Wenige Leute sind in drei Worte so gut zu beschreiben wie Neil Young. Zum Kummer der Freunde einfacher Erklärungen lauten diese Worte: schwer zu fassen. Wie Bob Dylan, als dessen großen Rivalen ihn manche sehen möchten, ist der 1945 in Kanada geborene Singer-Songwriter kein Mann des Stillhaltens. Hat er gerade noch introspektiven Countryrock gemacht, lässt er jetzt die E-Gitarre plärren, gibt er sich nun gallig und pessimistisch, ist er im nächsten Moment schon wieder liebesglühend optimistisch. Kein Wunder also, dass er auch mal eine fertig produzierte Platte 45 Jahre lang im Regal liegen lässt: „Homegrown“ nämlich. Jetzt hat er sie endlich veröffentlicht, zeitgleich mit Bob Dylans neuem Werk „Rough and rowdy Ways“.

 

Das mit „fertig produziert“ ist natürlich so eine Sache. Mancher Anhänger brillant durchgefeilter, aus zig Elementen und Lagen zusammengefügter Mischpult-Klanglandschaften wird in „Homegrown“ nur rumpelige Low-Fi-Vorläufigkeit erkennen, wird maulen, da habe wohl jemand ein Mikrofon in eine Garagenprobesession gestellt. Wer über Ohrenbluten jammert, dem würde Neil Young wohl entgegnen: „Du verträgst einfach keine Ehrlichkeit, Mann!“

Innigkeit und Kummer

Ehrlichkeit ist ein wichtiges Stichwort hier. „Homegrown“ zeigt auf vielen Stücken einen offenen, verletzlichen Young, der dann auf anderen hinter Kiffschwaden wieder ein wenig zu verschwimmen scheint. Der Musiker verarbeitet da gerade Liebeskummer, und das Eröffnungsstück „Separate Ways“ fasst sehr schön die brüchige Hoffnung, dass aus einem Beziehungsaus keine Feindschaft erwächst, sondern eine andere Art Innigkeit.

Vielleicht war das Young dann doch alles ein bisschen zu schutzlos. Vielleicht war er auch schon wieder gelangweilt von dem, was er da gerade in Lieder gepackt und damit für eine Weile aus sich herausgeschwitzt hatte. Jedenfalls gab er damals der sehr viel härteren Platte „Tonight’s the Night“ den Vorzug, mit der er zwei Jahre zuvor auf den Drogentod seines Roadie Bruce Berry und seines Gitarristen Danny Whitten reagiert hatte. auch die hatte er ins Regal gelegt, nun kam sie zum Zug.

Fenster auf andere Zeiten

Songs wie der vorsätzlich schrappelnde, scheddernde „Love is a Rose“ sind eine schöne Provokation, eine Mischung aus Holzspielzeug-Akustikpunk und herzschmerzwunder Kaminfeuer-Lyrik. Young hat ihn später auf dem Sampler „Decade“ veröffentlicht, wie er überhaupt in einige der „Homegrown“-Stücke, oft in anderen Aufnahmen, anderswo verwendet hat. Das alte Album aber bietet seinen eigenen Zusammenhang: Es ist vielleicht nicht das Meisterwerk, als das es mancherorts gepriesen wird, und gewiss nicht das überflüssige Durcheinander, das ein paar Misslaunige zu hören meinen. Es ist ein tolles Fenster auf eine andere Ära, auf eine schon nicht mehr ganz an sich glaubende Gegenkultur aus Musik und Drogen, Trotz und Empfindsamkeit, Hybris und Verwirrung.

„Homegrown“ macht einem auch die andere Beziehung von Musikern und Hörern damals klar. Es klingt wie die Einladung zu einer Privatparty, bei der man – anders als bei manchen ähnlichen Projekten heute – keinen Pulk von Produzenten, Designern und Stylisten spürt, die mit großem Aufwand das angeblich unverfälscht Direkte zusammengebastelt haben. Selbst der Tiefpunkt des Albums ist lustig: Zu ein paar schwirrenden Hintergrundsounds erzählt ein nicht völlig unbenebelter Neil Young von einem Gleitfliegerunfall, die träge Zunge immer gerade noch so am Lallen vorbeilupfend. Das ist dann nicht die überzeugendste Werbung für die Theorie, mit ein bisschen Dröhnung sei man der interessantere Mensch. Neil Young: Homegrown. Reprise Records. CD, alternativ als Vinyl. Bei den einschlägigen Streamingdiensten zu hören und auf Neil Youngs eigener Archiv-Seite.