Der Generalbundesanwalt klagt die Rechtsextremistin Beate Zschäpe der Mittäterschaft an allen NSU-Morden und eines dreifachen Mordversuchs in Zwickau an.

Karlsruhe - Die Bundesanwälte und 400 Polizeibeamte haben ein Jahr lang 1200 Personen vernommen sowie 6800 Beweisgegenstände und elektronische Datenträger ausgewertet. Die Beweise fanden sich im Schutt der zerstörten Terroristen-Wohnung in Zwickau sowie in den Überresten des ausgebrannten Wohnmobils, in dem sich die beiden Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 selbst getötet haben. Berge von Akten aus anderen Behörden wurden gesichtet und ausgewertet, die sich nach zehn Morden angesammelt und über mehr als ein Jahrzehnt hinweg doch nie zu den Tätern geführt hatten. Allein die Akten der Bundesanwaltschaft umfassen inzwischen tausend Stehordner.

 

Das Ergebnis all dieser Bemühungen ist eine mehr als 100 Seiten umfassende Anklageschrift gegen Beate Zschäpe, die bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens formal noch immer als „mutmaßliche“ Terroristin zu bezeichnen ist. Neben Zschäpe sind noch vier mutmaßliche Helfer angeklagt. Doch so sehr sich die Ermittler auch bemüht haben, im Kern haben sie binnen eines Jahres nicht viel mehr herausbekommen, als bereits in den ersten Tagen nach Zschäpes Verhaftung bekannt geworden war.

Keine Hinweise auf andere rechte Gruppierungen

Was die terroristische Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ verbrochen hat, ist seit damals offenkundig. Dass die zehn Morde und die vielen anderen Verbrechen über Jahre hinweg nicht aufgeklärt wurden, dass die Falschen verdächtigt wurden, hat die Republik erschüttert. Inzwischen sind viele Polizeipannen bekannt geworden. Und nicht nur die Karlsruher Ankläger, sondern auch etliche Untersuchungsausschüsse versuchten, der Wahrheit näher zu kommen.

Die Öffentlichkeit weiß schon lange , dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich 1998 aus rechtsextremer Gesinnung zur Terrorgruppe NSU zusammengeschlossen haben. Immer wieder wurde in den vergangenen Monaten danach gefragt, ob sich diese politisch motivierte, so furchtbar folgenreiche Gruppe von Gewalttätern auf drei Personen beschränkt haben kann. Die Bundesanwaltschaft hat auch heute keine Hinweise darauf, dass es anders gewesen sein könnte; sie hat noch nicht einmal Hinweise auf organisatorische Verflechtungen mit anderen rechten Gruppierungen.

In allen Fällen als Mittäterin angeklagt

Die Öffentlichkeit weiß seit einem Jahr, dass die Verbrechen von Böhnhardt und Mundlos begangen worden sind. Offen blieb die Frage, welchen Anteil Beate Zschäpe an diesen Taten hatte. Die Bundesanwaltschaft macht ihr nach den so umfangreichen Ermittlungen in keinem einzigen Fall den Vorwurf, unmittelbar an einem der Morde oder der Bombenanschläge beteiligt gewesen zu sein. Dennoch klagt sie Zschäpe in all diesen Fällen als Mittäterin und nicht nur wegen Beihilfe an.

Die Belege, die die Bundesanwaltschaft dafür jetzt öffentlich vorgelegt hat, sind begrenzt. Den Anklägern genügt, was seit einem Jahr nie strittig war: Zschäpe habe innerhalb der Gruppe die Aufgabe gehabt, „dem Dasein der terroristischen Vereinigung den Anschein von Normalität und Legalität zu geben“. Sie habe den Nachbarn und Bekannten die häufige Abwesenheit von Böhnhardt und Mundlos „unverfänglich zu erklären“ versucht und so „die gemeinsame Wohnung als Rückzugsort und Aktionszentrale gesichert“. Sie habe das Geld aus den Raubüberfällen verwaltet und mehrfach Wohnmobile angemietet. Das genügt den Anklägern, um Zschäpe „bei wertender Betrachtung genauso für die terroristischen Verbrechen des NSU verantwortlich“ zu machen wie Böhnhardt und Mundlos.

Dreifacher Mordversuch in Zwickau zur Last gelegt

Dass Beate Zschäpe am 4. November 2011 nach dem Tod ihrer beiden Komplizen die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt und damit eine Explosion ausgelöst hatte, ist seit Langem bekannt. Die Bundesanwälte bewerten dies nicht nur als schwere Brandstiftung, sondern auch noch als dreifachen Mordversuch. Bekannt war, dass sich in dem Doppelhaus auch eine alte Frau aufgehalten hatte. Neu ist der Vorwurf, dass Zschäpe zusätzlich noch zwei Mordversuche an Handwerkern zur Last gelegt werden, die zur Tatzeit gar nicht im Haus waren, aber normalerweise dort arbeiteten.

Den vier anderen Angeklagten werden Beihilfetaten vorgeworfen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich neben Beate Zschäpe gegenwärtig nur noch Ralf Wohlleben in Untersuchungshaft befindet. Carsten S. , der wie Wohlleben dem NSU die Mordwaffe für neun Taten besorgt haben soll, befindet sich auf freiem Fuß.

Beiden wird immerhin Beihilfe zu diesen Morden vorgeworfen. Zwei weitere Angeklagte werden beschuldigt, den NSU-Tätern Ausweispapiere zur Verfügung gestellt zu haben. Dies werten die Bundesanwälte als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, bei einem der Angeklagten auch als Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag und zu Raubüberfällen. Es gibt hier ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Massivität der Anklage und der – vom Bundesgerichtshof veranlassten – Haftverschonung.