Mit dem Remake der Science-Fiction-Serie „Lost in Space“ will sich der Streamingdienst Netflix noch mehr als Familiensender etablieren – und beweist dabei, dass Scheitern nicht immer Kunst ist.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Ohne Scheitern wäre Kunst eine quietschfidele und entsetzlich langweilige Sache. Hinter fast allen großen Stoffen der Mythologie, des Theaters, der Literatur und der Musik verbergen sich Geschichten von Niederlagen. Ihre Protagonisten heißen mal Odysseus, mal Hamlet, mal Werther, mal Buddenbrook, sie sind Verlierer, Versager, Unverstandene, Untergangskünstler.

 

Aber weil jedem Ende ein Anfang innewohnt, ist nicht nur das Scheitern eines der Lieblingsthemen der Kunst, sondern auch die Frage, was nach dem Scheitern kommt und wie ein Neubeginn aussehen kann. „Mit emporgehobenen Händen, ganz versunken in das Gefühl meiner Errettung, ging ich am Strande auf und ab. Ich dachte an meine ertrunkenen Gefährten und dass ich die einzige gerettete Seele unter Allen sei.“ Das lässt Daniel Defoe den schiffbrüchigen Ich-Erzähler und Titelhelden seines Romans „Robinson Crusoe“ (1719) protokollieren. Mit diesem Buch etablierte der Engländer ein literarisches Motiv, das seither in unzähligen Spiegelungen in Hoch- und Trivialkultur anzutreffen ist: die Robinsonade, die von einsam in abgelegenen Orten und Welten Gestrandeten erzählt.

Die Robinsons irren zwischen Daniel Defoe und Caspar David Friedrich durchs All

Defoes Robinson Crusoe landet irgendwo auf einer Insel im Mündungsgebiet des Orinoco, Johann David Wyss setzt rund hundert Jahre später die Schweizer Familie Robinson auf einem Eiland im indischen Ozean aus. Und in der Netflix-Serie „Lost in Space“, deren erste Staffel von diesem Freitag an verfügbar ist, erleiden die Robinsons schließlich in einer fernen Galaxie Schiffbruch. Wieder einmal. Denn bereits die Comicreihe „Space Family Robinson“ (1962), die Fernsehserie „Verschollen zwischen fremden Welten“ (1965-1968) und der Kinofilm „Lost in Space“ (1998) haben von den Abenteuern der fünfköpfigen Familie berichtet, die bei ihrer Weltraum-Mission verloren geht.

Die Version der Story, die Matt Sazama und Burk Sharpless für Netflix entwickelt haben, beginnt mit einer Bruchlandung in einer Eiswelt, die verblüffende Ähnlichkeit mit Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ hat, das früher zwar falsch, aber dennoch sehr treffend unter dem Titel „Die gescheiterte Hoffnung“ bekannt war. Die Robinsons sind in diesem Update der Kriegsveteran John, die Flugingenieurin Maureen und ihre drei mehr oder weniger hochbegabten Kinder Judy, Penny und Will. Die Familie gehört zu Kolonialisten, die von der dem Untergang geweihten Erde geflohen sind, um in einer entlegenen Ecke des Universums ein neues Leben zu beginnen.

„Lost in Space“ lässt den schrulligen Charme der Originalserie vermissen

Aber kaum sind die Robinsons auf dem Planeten gestrandet, versinkt auch schon ihr Raumschiff im Eismeer. Judy friert, umhüllt von ihrem Astronautenanzug, im Eis ein, lässt sich dort erst von ihrer Schwester Penny „Moby Dick“ vorlesen und leitet diese später an, das gebrochene Bein von Mutter Maureen zu operieren. Vater John und der kleine Will machen sich derweil auf, nach Möglichkeiten zu suchen, Judy aus dem Eis zu befreien. Und prompt kommt es zu einer kleinen Robinsonade in der Robinsonade, als Will durch ein Loch im Eis stürzt und in einer Welt voller hübsch glimmernder Glühwürmchen, psychedelisch eingefärbter Pilze, lieblicher Schmetterlinge und grotesker Baumungetüme landet. Lange bleibt er dort aber nicht allein. Er schließt Freundschaft mit einem bizarren Roboter, der sich später als eine Art Schweizer Taschenmesser für die Familie Robinson erweisen wird.

Mit „Lost in Space“ setzt der Streamingdienst Netflix seinen Plan fort, sich als Familiensender zu etablieren. Man will nicht mehr nur mit hochwertigen Dramenserien das anspruchsvolle Publikum begeistern, sondern auch Unterhaltung für die ganze Familie bieten und damit die Zahl der Abonnenten steigern. Doch das hat seinen Preis. „Lost in Space“ wagt zu wenig, will zu sehr allen gefallen. Das Serien-Remake lässt den schrulligen Charme des Originals von Irwin Allen vermissen, die Charaktere bleiben schablonenhaft, die Dramaturgie holpert. „Lost in Space“ begnügt sich damit, Abenteuergeschichten zu erzählen, und verschenkt die Möglichkeit, die Robinsonade zur Versuchsanordnung zu machen, um etwas über unser Zusammenleben zu erfahren – und lehrt den Zuschauer, dass Scheitern nicht immer eine Kunst ist.

Alle zehn „Lost in Space“-Episoden sind von Freitag, 13. April, an bei Netflix verfügbar.