So verrückt es klingt: Hirokazu Kore-eda gewinnt der Odyssee zweier Babyhändler und einer Mutter mitsamt Nachwuchs heitere Momente und intensive Einsichten ab.

Es müssen schon harte Beweggründe vorliegen, warum Mütter das eigene Kind weggeben. Bei So-young (Ji-eun Lee) sind sich die Ermittlerinnen Su-jin (Doona Bae) und Lee (Lee Joo-young) allerdings nicht so sicher, ob diese wirklich aus tiefster Verzweiflung handelt. Vom Überwachungswagen aus beobachten sie, wie So-young ihren Säugling auf regennasser Straße vor der kirchlichen Babyklappe zurücklässt, anstatt ihn in die sichere, beheizte Kammer zu legen. Su-jin und Lee sind aber nicht darauf aus, vermeintliche Rabenmütter zu gängeln. Sie warten auf Kinderhändler, sogenannte Broker, die ausgesetzte Babys stehlen, um sie zu verkaufen.

 

In Hirokazu Kore-edas Sozialdrama „Broker – Familie gesucht“ sind die Kinderhändler Sang-hyeon (Song Kang-ho) und Dong-soo (Dong-won Gang) aber keine Bösewichte, denen das Schicksal der Kinder egal wäre. Sie wollen die Kleinen in möglichst gute Hände bringen und ihnen ein langes Warten auf neue Eltern im Waisenheim ersparen. Mit dem Nebenverdienst halten sich die beiden auch bloß knapp über Wasser, denn Sang-hyeon ist Besitzer einer schlecht laufenden Wäscherei, dem die Schutzgeldforderungen der örtlichen Gangster über den Kopf wachsen.

Allein als Prostituierte auf der Flucht

Man staunt, wie dicht der japanische Filmemacher schon in den ersten Minuten seines Films ein komplexes Sozialgefüge spinnt, in dem die einzelnen Individuen unterm Druck äußerer Bedingungen versuchen, das eigene chaotische Leben so gut es geht zu ordnen. Selbst wenn das bedeutet, auf illegale Mittel zurückgreifen zu müssen. Dass Hirokazu Kore-eda ein Herz hat für Menschen in Belastungssituationen, hat er schon 2004 mit seinem erschütternden Drama „Nobody knows“ über vier von der Mutter im Stich gelassene Geschwister bewiesen. Für „Shoplifters“, das Porträt einer außergewöhnlichen Patchworkfamilie, wurde er 2019 mit diversen Preisen ausgezeichnet, darunter die Goldene Palme von Cannes. „Broker“, den Kore-eda nicht in Japan sondern in Südkorea gedreht hat, erzählt nun zwar mit etwas weniger Verve als „Shoplifters“, sehenswert ist die Geschichte über die Allianz zweier Kinderhändler und einer Mutter, die einen ganz eigenen Familienbegriff prägen, aber allemal.

Anders als gedacht hat So-young tatsächlich gute Gründe, ihr Kind wegzugeben. Als Prostituierte ohne Familie ist sie kaum in der Lage, ein Baby zu versorgen. Außerdem ist sie in ein Verbrechen verwickelt und deshalb auf der Flucht. Trotzdem plagen sie Zweifel, für ihren Sohn Woo-sung das Richtige getan zu haben. Als sie am nächsten Tag bei der Kirche nach ihrem Kind fragt, weiß dort niemand etwas von ihm. Außer Dong-soo, der dort als Ehrenamtlicher arbeitet und den Kleinen bei seinem Freund Sang-hyeon in der Wäscherei untergebracht hat. So-young will das Kind zwar nicht zurück, sie möchte aber Mitsprache bei der Auswahl der neuen Eltern und einen Anteil vom Verkaufserlös. Bei der folgenden Odyssee quer durchs Land werden die vier von den Ermittlerinnen verfolgt, die nur beim tatsächlichen Verkauf eine Chance haben, den Brokern das Handwerk zu legen.

Auf den tatsächlichen Verkauf kommt es auf allen Seiten an

Trotz des harschen Themas ist „Broker“ kein düsterer Film. Zwar orientiert sich Kore-eda an der Realität und stellt den sorgenvollen Alltag seiner Protagonisten ungeschönt dar, er konzentriert sich aber auf deren Überlebenswillen und Pragmatismus. Intensiv sind die Einblicke in die jeweiligen Biografien; etwa, wenn Sang-hyeon seine kleine Tochter trifft, die nach der Scheidung ihrer Eltern bei der Mutter lebt und dem Vater inzwischen völlig entfremdet ist. Dong-soo hingegen leidet unter dem Trauma, selbst als Waisenkind in einem Heim aufgewachsen zu sein. Dessen Motivation, für die Kinder passende Interessenten zu finden, erscheint da in anderem Licht. Und So-youngs anfangs verstörender, ruppig-sachlicher Umgang mit ihrem Baby resultiert bloß aus ihrer Sorge, sich emotional zu sehr an das Kind zu binden.

Bei allem Verständnis für die Protagonisten handelt es sich beim Verkauf der Kinder jedoch um Straftaten – Kore-eda begegnet dem Faktum mit Humor und dem fast flapsigen Running Gag, dass die potenziellen Käufer stets Woo-suns Augenbrauenform bemängeln. Die Polizistinnen sind eher tragikomisch als knallhart, überfordert von eigenen Beziehungs- und Karriereproblemen. Die teils heitere Abgeklärtheit in eigentlich tragischen Momenten mag manchmal irritieren. Weil die Protagonisten sich aber oft entgegen üblicher Muster verhalten, wirkt Kore-edas Geschichte umso glaubwürdiger – inklusive des bittersüßen Happy Ends.

Broker – Familie gesucht. Südkorea 2022. Regie: Hirokazu Kore-eda. Mit Song Kang-ho, Ji-eun Lee, Dong-won Gang. 129 Minuten. Ab 12 Jahren.

Der Regisseur und seine erfolgreichsten Filme

Große Erfolge
 Hirokazu Kore-eda, 1962 im japanischen Kiyose geboren, hat mit seinen Filmen viele Erfolge gefeiert. Besonders mit „Shoplifters“ über die Wahlverwandtschaft kleinkrimineller Underdogs räumte der Filmemacher 2019 internationale Preise ab. Mit „La Vérité“ (2019) veröffentlichte er erstmals einen Film mit europäischer Besetzung: Catherine Deneuve und Juliette Binoche spielten die Hauptrollen.

Große Themen
Kore-eda interessiert sich besonders für soziale Themen und das Spannungsfeld Familie, wobei es weniger um leibliche als um emotionale Verwandtschaft geht, wie etwa in „Like Father, like Son“ (2014), „Unsere kleine Schwester“ (2015), „Shoplifters“ und „Broker“. In Werken wie „Maboroshi – Das Licht der Illusion“ (1995) und „After Life“ (1998) setzte sich Kore-eda mit Verlust und Tod auseinander.