Der Markt regelt alles. Aber ist er verlässlich? James Miller, Autor auf Lesereise, vertritt im neuen Film "Die Liebesfälscher" eine klare Position.

Stuttgart - Der Markt regelt alles. Aber regelt er verlässlich, logisch und gerecht? Der Kunstmarkt zum Beispiel setzt den Wert eines Originals hoch, gar astronomisch hoch an, den Wert einer Kopie dagegen lumpig niedrig. Das hat System. Was aber ist, wenn sich das gerade noch hochgeschätzte Original als Fälschung entpuppt? Dann stürzt der Wert. Aber warum? Das jetzt verschmähte Objekt ist doch dasselbe Ding, es sieht noch so aus, fühlt sich noch so an, riecht noch so wie am Tag zuvor? James Miller, ein kunstsinniger britischer Autor auf Lesereise in Italien, vertritt in Abbas Kiarostamis neuem Film "Die Liebesfälscher" denn auch eine klare Position: Original und Kopie seien austauschbar.

 

Diese offene Provokation täuscht über die Natur von "Copie conforme", so der Originaltitel der französisch-italienisch-belgischen Co-Produktion, hinweg. Kiarostami hat einen Film der Andeutungen, Hintersinnigkeiten und Rätsel gedreht. Auch wenn alles bis zur Banalität schlicht zu sein scheint. Miller (William Shimell) stellt sein Buch vor. Im Publikum sitzt Elle (Juliette Binoche), die so angetan ist, dass sie mit James einen Stadtbummel unternimmt. Nichts anderes zeigt "Die Liebesfälscher" als kluge Gespräche und interpretierbare Blicke beim Schlendern und Rasten.

Fahrig, eitel und unhöflich

Aber das Mysteriöse beginnt schon mit Millers Auftritt. Der Mann ist fahrig, eitel und unhöflich. Er nimmt mitten in seinem Vortrag ein Handygespräch an und gibt den Zuhörern zu verstehen, sie und das Italien von heute seien nur ein Abglanz jener früheren Zeiten und Köpfe, die er lieber erlebt hätte. Mit anderen Worten, Miller wirkt fast wie die Fälschung eines feingeistigen Autors, wie ein schlecht vorbereiteter Lückenbüßer, der vom echten, aber verhinderten Meister engagiert wurde.

Elle jedoch findet diesen Mann einnehmend. Diesem Eindruck können wir uns sogar anschließen, denn als James mit ihr wandelt und tändelt, zeigt er außer einem gewissen Zwang zum pausenlosen Gescheitsein keine weiteren unsympathischen Eigenschaften. Er wirkt also so, als habe eine unsichtbare Hand seinen Charakter beim Verlassen der Lesung geschwind ausgewechselt.

Erlebnisschatz und ein Sack Probleme

Den größten Stolperstein legt Kiarostami den mitbummelnden Kinozuschauern in der Mitte des Films und des gehobenen Flirts in den Weg. Elle und James werden da von der Wirtin eines kleinen Cafés irrigerweise als Ehepaar angesprochen. Sie akzeptieren diese Rolle, aber nicht nur gegenüber der Wirtin. Von nun an sprechen sie sehr glaubhaft so miteinander, als seien sie bereits seit Jahren verheiratet, als wüssten sie viel übereinander und besäßen einen großen gemeinsamen Erlebnisschatz und vielleicht auch einen Sack Probleme .

Spielen sie das nur? Oder haben sie zuvor, als Neckerei unter Eheleuten, das Fremdsein gespielt? Oder schneidet Kiarostami, ohne seine Schauspieler älter zu schminken, einfach in eine Zukunft, in der die beiden tatsächlich verheiratet sein werden und den Ort ihres Kennenlernens noch einmal abschreiten?

Keine richtiger und falsche Interpretation

Der Film lässt alle Interpretationen offen. Es gibt also kein Original der Intention mehr, keine richtige und keine falsche Interpretation von etwas, das ohne Interpretation wiederum nicht auskommt - schließlich ist hier etwas unlogisch.

Der 1940 in Teheran geborene Kiarostami hat seine Filme oft entlang einer suchenden Bewegung einer Figur durch den Raum entwickelt, "Wo ist das Haus meines Freundes?" etwa, "Und das Leben geht weiter" oder "Der Geschmack der Kirsche". Seine neueren, in Europa entstehenden Produktionen können aber nicht mehr als an der Zensur vorbeigeschmuggelte Auseinandersetzungen mit den Verhältnissen im Iran gedeutet werden. Parallel zu diesem Verschwinden einer Deutungsebene stellt Kiarostami nun die innere Wahrheit des Films und den Mythos des singulären Meisterwerks infrage. Dass man das Gefühl bekommt, dies sei eine Variante von "Before Sunrise" für ältere Kunstfreunde, ist dabei gewiss Absicht.

Die Liebesfälscher. Frankreich, Italien, Belgien 2010. Regie: Abbas Kiarostami. Mit Juliette Binoche, William Shimell. 106 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.