Bereits an diesem Mittwoch startet Alejandro González Iñárritus fulminanter neuer Film „The Revenant“ im Kino. Leonardo DiCaprio spielt einen amerikanischen Trapper des frühen 19. Jahrhunderts, der Unglaubliches durchsteht.

Stuttgart - Überleben in der Wildnis, das ist heutzutage ein Hobby für Städter, ein Zurück-zu-den-Wurzeln-Seminar für Manager, die mit Käferknabbern und Schneckenschlucken alle Hemmungen zu überwinden lernen. Hugh Glass hätte über solche Typen nicht einmal lachen können, er hätte sie als Gulasch gekocht und zu Abend gegessen.

 

Hugh Glass (1780–1833) ist die wuchtigste Waldläuferfigur der amerikanischen Pioniergeschichte, eine historische Gestalt, begraben unter Legenden, Lügen, Jägerlatein, Heldensehnsucht und Landnahmeanspruch der Mit- und Nachwelt. Für konservative Amerikaner ist Hugh Glass der personifizierte Beweis, dass ihnen, den Einwanderern, der neue Kontinent zusteht und nicht irgendwelchen Ureinwohnern. Warum sonst hätte Gott solche widernatürlich zähen, durch nichts umzuhauenden Übermenschen schaffen sollen, deren Fähigkeit, in der rauen Natur unter widrigsten Bedingungen zu überleben, selbst Indianer staunen ließ?

Alejandro González Iñárritu erzählt in seinem Film „The Revenant – Der Rückkehrer“ eine Kernepisode aus dem Leben von Glass, jenen unglaublichen Teil, der wohl stimmt und für die vielen Ausschmückungen verantwortlich ist, die an Glass’ Vita emporwuchsen wie Efeu. Iñárritu zeigt, wie Glass an einer Expedition des Militärs tief in Indianergebiet zwecks Pelzjagd teilnimmt, wie er bei einem Angriff der Arikara-Krieger verwundet wird, dann den Angriff eines Grizzlys schwer zerfleischt übersteht, wie jene zwei Männer, die zu seiner Versorgung abgeordnet werden, den Bewegungsunfähigen zum Sterben im Feindesland zurücklassen und wie Glass sich dann wider alle Fassbarkeit durchschleppt, durchbeißt, durchquält, wie er sich immer weiter Richtung Zivilisationsaußenposten bewegt, nicht um Rettung zu finden, sondern um Rache zu nehmen.

Der Film hat viele Oscars verdient

Um die Begeisterung über die handwerklichen Qualitäten von „The Revenant“ nicht ins rhetorische Kraut schießen zu lassen, sei kurz gesagt: der Film hätte viele Oscars verdient, von Iñárritus Regie über Mark L. Smiths Drehbuch, Emmanuel Lubezkis Kamera, Stephen Mirriones Schnitt, Jacqueline Wests Kostüme und Ryuichi Sakamotos Musik bis hin zu Leonardo DiCaprios Verkörperung des Trappers Glass.

Das hat mit den Heldenporträts gängiger Grenzerfahrungsgeschichten nicht mehr gemeinsam als die extreme Virilität der Figur. Womit wir bei der Besonderheit wären, die noch sehr viel mehr beeindruckt als die handwerkliche Sorgfalt und inspirierte Handlungsdetails des Films: nämlich bei seinem rabiaten, durchaus selbstzerstörerischen Mut zur Scheußlichkeit. Dies ist kein Film, in dem man sich wohl fühlt, weil etwa die Belastbarkeit des Menschen mit optimistischem Drall vorgeführt würde, Motto: wenn’s drauf ankommt, halten wir alle mehr aus, als man denken sollte. Dies ist ein Angsteinjager von Film über die Bestie, die in uns steckt, über jene Durchsetzungswut, die hier einen individuellen Kampf eines einzelnen Mannes gegen die Natur zeigt, die aber in allem steckt, in den Kriegen der Menschen gegen ihresgleichen wie in der besinnungslosen, anhaltenden Zerstörung der Biosphäre.

Der deutsche Titelzusatz „Der Rückkehrer“ ist der Sprachverarmung geschuldet. Kein harmlos Heimkehrender ist gemeint, sondern das, was man einen Wiedergänger nennt, einer, der von den Toten zurückkehrt, obwohl er kein Lebender wie andere mehr ist, eine Ausgeburt der Hölle, kein Ex-Kumpel mit ein paar Narben mehr.

Eine Bande von Skalpjägern und Halsabschneidern

Der Höllenritt von Iñárritu („Babel“, „Birdman“) beginnt noch im fassbar sozialen Dreck. Die Jagdexpedition, die er uns zeigt, ist kein Haufen Eigenbrötler (u. a. Tom Hardy, Will Poulter), es ist eine Bande, ein räuberischer, verrohter, profitgeiler Mob, der sich von den Bestien der Wildnis durch die Unfähigkeit unterscheidet, sich in kleinen sozialen Gruppen zu Nutz und Frommen aller an Regeln zu halten. Wenn dies Wölfe sind,dann sind es tollwütige Kreaturen, wobei Hugh Glass in der Variante DiCaprios noch ein bisschen besser dasteht als die anderen. Er wird gepeinigt von den Erinnerungen an die Ermordung seiner indianischen Frau. Umgeben ist er von Skalpjägern, Halsabschneidern, Vergewaltigungsprahlern, deren äußere Dreck- und Grindschichten, die ihnen Wald und Wetter, Kampf und Voranstolpern verschafft haben, die passende Einkleidung ihres inneren Schmutzes darstellen.

Aber spätestens wenn Glass der Bärin gegenübersteht, die nur ihre Jungen verteidigt, die den wilden Kampf gegen den Mann aber verlieren wird, landen wir auf einer anderen Ebene. Ohne Mutter, wird im Dialog betont, werden nun auch die kleinen Grizzlys sterben. Die allgemeine destruktive Wirkung der menschlichen Überlebenskraft wird sichtbar. Immer wieder zeigt die Kamera Bäume, Himmel und den Fluss, als träume sie zur Erholung von einer Welt ohne zweibeinige Aggressionsmeister. Iñárritu gelingt dann, was Terrence Malick unter anderem mit „The New World“ zur Karikatur geriet: aus Bildern des nackten Existenzkampfs ein philosophisches Werk zu machen. Gleich zum Auftakt des Kinojahres bekommen wir einen Film für die Ewigkeit geboten.