Kaum war die Volksabstimmung gelaufen, machte die Bahn aus fünf Bahnsteigen in Ulm vier. Jetzt wird entlang der Landesgrenze laut protestiert.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Als Lobbyisten der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm verstanden sich Ulmer Politiker und Wirtschaftsvertreter von Anfang an, als Visionäre und Wahrer ökonomischer Vernunft, die für die Protestszene von Stuttgart stets nur harte Worte fanden. Inzwischen ist die Begeisterung an der Donau über das Ergebnis der Volksabstimmung im November dem bitteren Gefühl gewichen, düpiert worden zu sein. Eine allumfassende Protestfront hat sich gegen die Deutsche Bahn gebildet.

 

Es geht dabei nicht ums Große, Ganze, sondern um die Umbaupläne des Hauptbahnhofs, von denen – kurz nach der Volksabstimmung – eine Neufassung vorgelegt wurde. Die Bahn kürzte die ursprünglich geplanten fünf Bahnsteige auf vier herunter. Gemäß dem Antrag auf eine Änderung des Planfeststellungsverfahrens vom 16. Dezember 2011, den die DB Netz AG beim Regierungspräsidium Tübingen einreichte, braucht es den Ulmer Ostbahnhof, auf dem bisher Reisezüge abgestellt werden, nach Fertigstellung der Neubaustrecke nicht mehr. Mit dem Areal soll gleich auch ein geplanter fünfter Bahnsteig für Nahverkehrszüge entfallen. Begründung: nach einer neuen Prognose, die im Bundesverkehrswegeplan von 2010 steht, reduzieren sich die Zugzahlen im Bereich Ulm bis zum Jahr 2025. „Außerdem haben Fahrbarkeitsprüfungen gezeigt, dass wir diesen Bahnsteig nicht mehr benötigen“, präzisiert ein Bahn-Sprecher. Möglich sei die Einsparung durch „Optimierungen im Spurplan“. Welche Summe die Bahn einzusparen gedenkt, um wie viele Züge es wirklich geht, wird nicht verraten.

Der Protest setzte spät ein

Es dauerte einige Monate, bis den Ulmer Institutionen die Bedeutung der Planänderung aufging. Die Region hat schließlich ehrgeizige Ziele, sie will sich zwischen den Metropolregionen Stuttgart und München als eigenständige Kraft etablieren. Dazu gehören S-Bahn-Pläne. Ihnen liegt bis jetzt ein Grobkonzept baden-württembergisch-bayerischer Grenzkommunen und Wirtschaftsverbände vor, Arbeitstitel: „Regio-S-Bahn Donau-Iller“. Dem Konzept fehlen entscheidende Detailangaben zu prognostizierten Fahrgastzahlen, Betriebskosten und Betreiber. Nur eines scheint klar: ohne eigenen Bahnhofsanschluss in Ulm bleibt die S-Bahn wohl Illusion.

Jetzt wird wieder Lobby gemacht von Ulm aus, aber anders herum, gegen die Bahn. Die örtliche Industrie- und Handelskammer, die vor dem Verwaltungsgerichtshof aktuell für den Erhalt ihres Großplakats pro Stuttgart 21 kämpft, forderte die Bahn öffentlich auf, an ihren Plänen für einen fünften Bahnsteig festzuhalten. Der Regionalverband Donau-Iller trat am 10. Juli eilig zu einer Sondersitzung zusammen und formulierte nachher die Forderung ans Land und die Bahn AG, dass der „im Finanzierungsvertrag ( . . .) vom 30. März 2009 beschriebene Neubau eines 5. Bahnsteigs (. . .) wie vereinbart (. . .) realisiert wird“. Der Ulmer Gemeinderat, der im laufenden Planänderungsverfahren Stellung beziehen muss, einigte sich auf einen scharfen Protestschrieb.

Auch das Verkehrsministerium ist alarmiert, seit die Ulmer Abgeordneten Martin Rivoir (SPD) und Jürgen Filius (Grüne) sich in Namen ihrer Fraktionen zu Wort meldeten und beim Land beantragten, „sich nachdrücklich für den Bau eines fünften Bahnsteigs im Ulmer Hauptbahnhof“ einzusetzen. Beigefügt waren die Protestschreiben von zwölf Trägern öffentlicher Belange, darunter dem bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr.

Der Vekehrsminister setzt sich für die S-Bahn ein

Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann hat in seiner Antwort vom 20. Juni seine Sympathie für die Ulmer S-Bahn-Pläne ausgedrückt; das Land habe „seine Bedenken fristgerecht in das Planfeststellungsverfahren eingebracht“. Ein Manko des Ulmer Protests kann aber auch der Verkehrsminister nicht beseitigen.

Ein Sprecher der Bahn in Stuttgart formuliert es in aller Kälte: Das von den grenznahen Befürwortern geforderte S-Bahn-Konzept habe „überhaupt nichts mit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm zu tun“. Das S-Bahn-Vorhaben selber sei nebulös. „Wir kennen keinen Plan.“ Die Bahn sei hingegen verpflichtet, „sorgsam mit den Investitionsmitteln umzugehen“. Für Gespräche mit den Ulmer Protestführern über die vom Regierungspräsidium anberaumten Erörterungstermine hinaus, so heißt es, sehe man keinen Anlass.