Faszination Schutzengel: Diesem Thema widmet sich die neue Ausstellung im Münchinger Heimatmuseum. Die Leiterin ist froh, dass sie es jetzt zeigen kann.

Wer hat das nicht schon mal erlebt: Da übersteht man wie durch ein Wunder unbeschadet einen Unfall oder entkommt einem anderen Unheil – und könnte meinen, ein Schutzengel oder gar der persönliche Schutzengel habe seine Hände im Spiel gehabt und Schlimmes verhindert.

 

Auch die Leiterin des Münchinger Heimatmuseums kann von mindestens einem Schutzengelerlebnis berichten. Einst auf der Autobahn Richtung Stuttgarter Flughafen, erzählt Sabine Rathgeb, sei es fast zu einem Unfall gekommen. In letzter Sekunde habe sie reagiert, und es passierte – nichts, sie konnte ausweichen. „Wenn man darüber nachdenkt, fallen einem mehrere Situationen ein“, sagt Sabine Rathgeb, die sich seit einiger Zeit intensiv mit dem Thema befasst. Die neue Ausstellung im Heimatmuseum heißt: „Himmlische Begleiter – Schutzengelbilder aus vergangener Zeit“.

„Man kann von einem Engelkult in der Zeit sprechen“

Sabine Rathgeb konzentriert sich auf den zwei Etagen auf die Zeit zwischen 1850 und 1930. Sie zeigt dem Publikum nicht nur Engel aus früheren Epochen, sondern auch unterschiedlicher Gestalt. Sie seien ähnlich im Stil, aber äußerst variantenreich, sagt die Museumsleiterin. „Man kann von einem Engelkult in der Zeit sprechen.“ Der mit dem Ende des Kaiserreichs zurückging. Die Wand- und Andachtsbilder, Postkarten, Ofenrohrbilder, Bücher oder als magische Schutzbriefe hergestellte ‚Himmelsbriefe‘ seien ausgewählte Exponate der Böblinger Sammlerin Heide Balon, angereichert mit zehn Exponaten des Heimatmuseums. Insgesamt sind es rund 150 Stück.

Engelsgestalten, sagt Sabine Rathgeb, würden die Menschen seit Jahrhunderten faszinieren. Sie hätten schon damals unglaublich viele Menschen angesprochen und seien ein unheimlich beliebtes Bildmotiv gewesen. Der Ursprung liege im Religiösen, im Christentum, wobei es auch im Judentum und im Islam solche himmlischen Begleiter gebe. Die Menschen auf dem Lebensweg beschützen, in Gefahrensituationen vor dem Tod bewahren, aber auch die Seele von Verstorbenen ins Jenseits begleiten. Von der Darstellung her hätten sie aber nichts mit den Engeln aus dem Christentum zu tun. Die menschliche Fantasie habe Engel in verschiedenen Zeiten und Kulturen unterschiedliche Gestalten verliehen, erläutert Sabine Rathgeb die Faszination. „Unsere Vorstellung von Engeln ist bis heute von den romantischen Schutzengeldarstellungen geprägt, die seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts in großer Vielfalt immer wieder reproduziert wurden.“

Schutzengel auch im Kinderzimmer präsent

So wachen schöne geflügelte Frauengestalten über Soldaten im Ersten Weltkrieg, Kinder, die am Abgrund spielen, dort Reisig sammeln, Blumen pflücken oder aber eine Brücke passieren, die über einen reißenden Fluss verläuft. Neben Bedrohungen durch Verkehrsunfälle, etwa durch Pferdewagen, werden auch die Gefahren einer neuen Zeit berücksichtigt, wie Zug- und Autounfälle. Doch nicht nur draußen, in der Natur, bei Gefahren spielen Schutzengel eine Rolle, sagt Sabine Rathgeb: Auch im Kinderzimmer sind sie präsent. Dass Engel in vielen Darstellungen die Jüngsten beschützen, habe wohl damit zu tun, dass gerade sie etlichen Risiken ausgesetzt waren. Sie habe nicht gedacht, dass das Thema so verbunden sei mit dem realen Hintergrund der damals hohen Kindersterblichkeit, sagt Rathgeb. „Der Gedanke an einen Schutzengel spendete wichtigen Trost, wenn Kinder gestorben sind.“ Ihre Eltern glaubten daran, dass sie nach dem Tod einer höheren Macht anvertraut werden. „Irgendwie muss man diese Erfahrung bewältigen“, sagt Sabine Rathgeb. Andererseits hatten Darstellungen von Engeln an der Seite von Kindern in Gefahr auch eine erzieherische Funktion: Sie sollten den Mädchen und Jungen die realen Bedrohungen bewusst machen.

„Die Besucher der Ausstellung müssen sich auf eine andere Zeit einlassen“, sagt Sabine Rathgeb. Um die längst vergangenen Zeiten zu verdeutlichen, steht unter anderem ein Puppenhaus da. Es wurde dem Museum gestiftet und zeigt das Leben in einem großbürgerlichen Haushalt um 1900. So hätten die Menschen gewohnt und die Räume ausgesehen, die Engelmotive zierten.

Zugleich „klassisches Weihnachtsthema“

Nachdem sie eine Schutzengel-Ausstellung mit Heide Balons Exponaten gesehen hatte, war für Sabine Rathgeb klar, dass sie das Thema nach Korntal-Münchingen holen will. Der Kontakt zu Balon entstand, weil diese Rathgeb angerufen und gefragt hatte, ob sie Interesse habe, ihre Exponate auszustellen. Gerade in diesen unruhigen Zeiten sei sie froh um die Schau, sagt Sabine Rathgeb, die zugleich ein „klassisches Weihnachtsthema“ präsentieren will. „Ich verstehe, warum Schutzengel damals für die Leute so wichtig waren.“ Zu glauben, Sicherheit zu haben, sei eine Illusion gewesen, denn Bedrohung, Tod seien allgegenwärtig gewesen. Jahrzehnte folgten, in denen dies alles weit weg gewesen sei. Und heute? Ist der Glaube an Sicherheit vielleicht auch illusorisch.

Die Schau geht bis 12. Februar. Das Museum öffnet dienstags von 15 bis 18 und sonntags von 11 bis 12 sowie 14 bis 17 Uhr, ebenso am 25. und 27. Dezember und 1. Januar. An diesem Sonntag führt die Leiterin Sabine Rathgeb um 14.30 Uhr durch die Ausstellung. Eine Anmeldung ist nicht nötig, die Teilnahme kostenlos.