Das Armutsrisiko von Familien ist laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung größer als bisher angenommen. Besonders drastisch sei die Situation für alleinerziehende Eltern.

Stuttgart - Die Einkommenssituation von vielen Familien ist offenbar schlechter als bislang gedacht. In einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum jetzt erstmals für Deutschland ermittelt, welche zusätzlichen Kosten durch Kinder je nach Familientyp und Einkommensniveau entstehen. Das Ergebnis: Je geringer das Familieneinkommen ist, desto schwerer wiegt die finanzielle Belastung durch jedes weitere Haushaltsmitglied.

 

Nach der neuen Berechnungsmethode sind 13 Prozent der Paare mit einem Kind armutsgefährdet, 16 Prozent der Paare mit mit zwei Kindern und 18 Prozent der Paare mit drei Kindern. Besonders drastisch ist die Situation für Alleinerziehende. Lag deren Armutsrisikoquote nach früheren Berechnungen bei 46 Prozent, sind es auf Basis der neuen Methode 68 Prozent. Als arm gelten Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt. Die Studie beruht auf Zahlen des Statistischen Bundesamts und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).

Bisherige Armutsmessung verzerrt

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Berechnungsmethoden auf Basis der sogenannten neuen OECD-Skala zur Äquivalenzmessung die Einkommen armer Haushalte systematisch über- und jene reicher Haushalte unterschätzt haben. Das führt zu Verzerrungen bei der Armutsmessung.

Gemäß der OECD-Skala werden bisher die zusätzlichen Ausgaben pro Kind mit sogenannten Äquivalenzgewichten geschätzt. Bezugsgröße sind die Ausgaben für einen allein lebenden Erwachsenen. Ein zusätzliches Kind unter 14 Jahren erhält ein Gewicht von 0,3, eine zusätzliche Person über 14 Jahren von 0,5. Solche starren Skalen würden der realen Situation von Familien nicht gerecht, kritisieren die Bochumer Forscher. Sie setzen deshalb auf Äquivalenzgewichte, die das jeweilige Haushaltseinkommen einbeziehen.

Im großen Haus wird das Gäste- zum Kinderzimmer

So wird deutlich, dass in Familien, die mit einem knappen Einkommen haushalten müssen, weitere Haushaltsmitglieder finanziell stärker ins Gewicht fallen. Sie muss beispielsweise aus der engen Wohnung in eine größere umziehen. Wer aber ein höheres Einkommen hat und ohnehin schon in einem großen Haus lebt, braucht für eine weitere Person keine zusätzlichen Mietausgaben zu veranschlagen – dort kann etwa das Arbeits- oder Gästezimmer zum neuen Kinderzimmer werden. Zudem fallen bei niedrigeren Einkommen die kinderspezifischen Ausgaben (etwa für Windeln, Schulsachen, neue und passende Kleidung) besonders ins Gewicht.

„Wir können Armut nur erfolgreich bekämpfen, wenn wir sie realistisch betrachten können“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Vor allem Alleinerziehende brauchten stärkere Unterstützung. Zudem müsse die staatliche Existenzsicherung für Kinder neu aufgestellt werden. Dabei solle sich der Staat konsequent an den Bedürfnissen von Kindern orientieren, forderte Dräger.