Hartz IV, Abtreibung, Abschiebung – alles sensible Themen. Horst Seehofer und Jens Spahn schreckt das nicht ab. Im Gegenteil, sie preschen mit provokanten Wortmeldungen vor. Das ruft nicht nur bei politischen Gegnern Unmut hervor.

Berlin - Besser als die Weißwürschte, serviert mit bayerischen Brezn, ist nur noch die Stimmung in der Berliner Vertretung des Freistaates. „Ausgesprochen zufrieden“, äußert sich beim traditionellen Frühstück zu Beginn einer jeden Bundestagssitzungswoche der Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Dienstag darüber, „wie die CSU die öffentlichen Debatten mit ihren Ministern begleitet“ und seine Partei „die politische Schlagzahl bestimmt“.

 

Kann man so sehen. Der neue Verkehrsminister Andreas Scheuer hat in den vergangenen Tagen publikumswirksam erst Bonuszahlungen an die VW-Manager gegeißelt und nachgelegt, als bekannt wurde, dass der ehemalige Bahnchef Rüdiger Grube für nur 30 Arbeitstage im vergangenen Jahr 2,3 Millionen Euro Gehalt überwiesen wurden.

Vor allem aber führte sich CSU-Parteichef Horst Seehofer mit einer wahren Intervieworgie in das Amt des Bundesinnenministers ein. Erst kündigte er einen „Masterplan für Abschiebungen“ an, spitzte dann Formulierungen des Koalitionsvertrages zu anhaltenden Grenzkontrollen zu und machte schließlich das ganz große kulturtheoretische Fass auf mit seiner Feststellung, wonach der Islam nicht zu Deutschland gehöre, die hier lebenden Muslime aber irgendwie schon. Großes Hallo, offener Widerspruch von Kanzlerin Angela Merkel inklusive, der wiederum Dobrindt deshalb attestiert, in dieser Frage nicht für die Mehrheit im Land zu sprechen.

Die neue Regierung steht erst eine Woche, viel passiert ist dennoch schon

Erst eine Woche alt wird die neue Koalition sein, wenn Merkel an diesem Mittwoch vor dem Bundestag die erste Regierungserklärung ihrer vierten Amtszeit abgibt. Es hat sich schon eine Menge zugetragen in diesen sieben Tagen. Vor allem scheint es eben die CSU sehr ernst zu nehmen mit der Ankündigung aus den Koalitionsverhandlungen, in einer neuerlichen Groko als eigenständige Partei erkennbar bleiben zu wollen – zur Not auch auf Kosten der Partner.

Die Verärgerung über die Profilierungsoffensive der Schwesterpartei hat nicht lange auf sich warten lassen. Im Parteivorstand entlud sich am Montag der Unmut über den holprigen Start in einer Ermahnung in Richtung von Jens Spahn, der es mit seinen Einlassungen zu Hartz IV und Schwangerschaftsabbrüchen dem Kabinettskollegen Seehofer gleichtat mit seinem Drang nach öffentlicher Zuspitzung.

Der neue Gesundheitsminister – über Monate Merkels innerparteilicher konservativer Gegenpol und nun eigentlich in die Kabinettsdisziplin eingebunden – wollte mit seinen Auftritten offensichtlich demonstrieren, dass auch jenseits der medizinischen Fachthemen weiter mit ihm zu rechnen sein wird. Seine Solonummer, die „dem Teamerfolg abträglich“ sei, brachte ihm jedenfalls in der Runde die Rüge ein, nun doch bitteschön, wie ein Teilnehmer berichtet, „mehr mit Sacharbeit und Taten zu überzeugen“.

Die Minister versuchen schon jetzt, mit Tatendrang zu überzeugen

Mit dieser Strategie versuchen es die meisten anderen Minister. Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist nach Washington aufgebrochen, um in letzter Minute einen offenen Handelskonflikt mit Donald Trumps USA abzuwenden. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner schickt Fotos aus Brüssel, wo sie an ihrem ersten Agrarrat teilnimmt und die 27 anderen Amtskollegen kennenlernt. Außenminister Heiko Maas hat schon Paris und Warschau besucht, während Vizekanzler Olaf Scholz gleich zum G20-Finanzministertreffen nach Südamerika gejettet ist. Und der neue Sozialminister Hubertus Heil darf am Dienstag verkünden, dass die Renten dieses Jahr kräftig steigen.

„Unsere Minister stürzen sich jetzt erst einmal in die Arbeit und versuchen darüber zu zeigen, warum es gut ist, dass sie an der Regierung sind“, erzählt einer aus der SPD vor den dienstagsüblichen Fraktionssitzungen: „Wir können uns nur wundern, dass die Seehofers und Spahns jetzt erst einmal die Metaebene bespielen, bevor sie überhaupt mit der Arbeit angefangen haben.“

Grundverschiedener könnten die Ansätze, mit denen die Parteien in ihre neue Partnerschaft hineingegangen sind, kaum sein. Während die Sozialdemokraten erst einmal gute Arbeit abliefern wollen und auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer von den Neukoalitionären fordert, „sich über die Tatkraft zu profilieren“, sehen sie in der CSU ihre Aufgabe vor allem im Führen von Debatten, die manchen Bürgern mehr, manchen weniger unter den Nägeln brennen – und bisher bei der AfD eingezahlt haben.

Debatten und Lästereien

„In der ganzen Breite“ müsse diese Koalition gesellschaftliche Debatten abbilden, natürlich auch die rechts der Mitte im konservativen Milieu, meint CSU-Landesgruppenchef Dobrindt: „Wenn sie es nicht tut, überlässt die das Feld anderen.“ Nicht Seehofers Aussage zum Islam spalte das Land, sondern die „Unterdrückung“ solcher Debatten. Den arbeitsamen Sozialdemokraten, deren Minister noch nicht im Minutentakt eine neue Sau durch’s Dorf getrieben haben, attestiert Dobrindt in dieser Logik schlicht „Startschwierigkeiten“.

Die Genossen lästern zurück. „Klar, die CSU ist gleich voll da, aber vor allem mit Sprüchen“, meint ein Abgeordneter. Er ist sich zugleich ziemlich sicher, dass die Bogenschützen aus der CSU nicht auf seine Roten zielen, sondern „zu Beginn unionsintern Pflöcke einschlagen wollen und Merkel weiter stärker nach rechts treiben wollen“. Deren Generalsekretärin „AKK“ hat sich denn auch gleich bemüßigt gefühlt zu sagen, dass mehr Debatte in dieser Koalition durchaus erwünscht sei, „etwas oberflächliche Positionen“ bei der Lösung konkreter Probleme aber nicht unbedingt helfen würden.

In der Unionsfraktionssitzung am Dienstag ist zu beobachten gewesen, dass die neue Rauflust das Regieren nicht einfacher machen wird. „Zunächst ist positiv, dass wir wieder diskutieren und uns auch aneinander reiben“, sagt die Stuttgarter Abgeordnete Karin Maag. Dann folgt wie bei vielen ihrer Kollegen ein Aber, nämlich dahingehend, „ob uns diese Debatte weiterbringt“. Auch sie will lieber konkrete Lösungen, so in Fragen des Zusammenlebens mit Muslimen, so beim Thema Schwangerschaftsabbruch.

Merkel wünscht Sach- statt Schaufensterdebatten

Unionsfraktionschef Volker Kauder wiederum hat am Tag vor der Kanzlerwahl schon erleben müssen, dass viele seiner Abgeordneten keine Eigenständigkeit der SPD bei dem Thema ertragen wollten. Die Sozialdemokraten hatten noch vor der Koalitionsbildung eine Änderung des Paragrafen 219a eingebracht, der im Bundestag möglicherweise eine Mehrheit jenseits der Union gefunden hätte. Um des lieben Koalitionsfriedens willen blies Fraktionschefin Andrea Nahles das Projekt ab. Nun sind viele Genossen sauer, dass sie zurückstecken mussten, während Seehofer und Spahn fröhlich austeilen. Und Kauder wirkt am Dienstag einem Sitzungsteilnehmer zufolge „wenig amüsiert und genervt“, da er schon jetzt in der Schuld von Nahles steht.

Angela Merkel hat in der Fraktionssitzung nicht das Wort ergriffen. Sie will an diesem Mittwoch versuchen, ihrer neuen Regierung mit den richtigen Worten eine möglichst einheitliche Stimme zu geben und wieder Sach- statt Schaufensterdebatten zu führen. Zumindest sind ihre Minister dazu verdonnert, in der zweitägigen Generaldebatte genau darzulegen, welche konkreten Vorhaben aus dem Koalitionsvertrat sie zuerst anpacken wollen. Motto: Genug geredet.