Eine Neufassung von Mozarts Requiem, Bachs Motetten zum Mittanzen, ein sehr englischer „Messiah“ und Liedbearbeitungen für Chor: Diese neuen Chor-CDs lohnen das Zuhören.

Stuttgart - Es ist nicht der beste, homogenste Chor mit dem reinsten, höhensichersten Sopran, und das Repertoire ist keinesfalls ausgefallen. Dennoch verdanken wir dem Ensemble Pygmalion die interessanteste und bezauberndste, weil lebendigste Chor-CD der letzten Monate. Mit seinen 28 Sängern und sechs Musikern hat der Dirigent (und Countertenor) Raphael Pichon Bachs Motetten mit frühbarocken lateinischen Vokalwerken kombiniert (Harmonia mundi), und so wie auf dem Cover der CD Balletttänzerinnen umherwirbeln, so klingt das Ganze auch: hin- und mitreißend. Der Chor, der sich besonders im polyfonen Stimmgeflecht zu Hause fühlt, wirkt oft fast schwerelos, singt dabei sehr rhythmisch, und die instrumentale Bassgruppe färbt jeden Satz individuell ein.

 

Ein besonders überzeugendes Beispiel für die Perfektion, mit der hier Expression und Schlichtheit ausbalanciert sind, bietet die Motette „Fürchte dich nicht“, wenn sich Choral und fugierte chromatische Stimmen beim „Ich habe dich erlöset“ traumwandlerisch ineinander winden.

Eine Neufassung von Mozarts Requiem

Für Mozarts Requiem braucht der BR-Rundfunkchor zwei Silberscheiben: Auf der ersten CD stellt er der Totenmesse die Vesperae solennes KV 339 voran, und die liturgisch-musikalische Vervollständigung des unvollendeten Requiems durch Mozarts Zeitgenossen Sigismund Ritter von Neukomm („Libera me“) beschließt die Aufnahme (BR Klassik/Naxos). Die zweite CD bietet eine Werkeinführung, die ein Interview mit Howard Arman einschließt. Dessen neue Komplettierung des Torsos, die er hier selbst dirigiert, überzeugt ebenfalls: Sanctus, Benedictus und Agnus Dei erklingen ohne Retuschen so, wie sie Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr neu komponierte, weil Arman sie als authentischen Teil der ersten Aufführungsversion begreift. Die Neuinstrumentierung der unvollendeten Sätze vermeidet die gängige Wiederholung von Begleitfiguren (besonders wirkungsvoll: die gegenläufigen Akzente der Posaunen im „Confutatis“). Das „Lacrymosa“ endet mit einer hinterlassenen d-Moll-„Amen“-Skizze Mozarts. Den Chor, die guten Solisten und die Akademie für Alte Musik, die zahlreiche aparte Akzente setzt, bringt Arman am Pult trotz ihrer nicht in jedem Detail kompatiblen Art der Tonproduktion und Klangformung zusammen. Und Neukomms zwischen „Don Giovanni“-Theatralik und seicht-naiver Unbedarftheit, Mozart-Stilkopie und Eigenwillen vagierender Requiem-Schluss ist ein hörenswerter Appendix.

Händels „Messiah“ mit dem RIAS-Kammerchor

Justin Doyle präsentiert Händels „Messiah“ (Pentatone/Naxos) in einer idealen Verschmelzung von Leichtigkeit und Vertiefung. Der Rias-Kammerchor, den der britische Dirigent seit 2017 leitet, singt leicht, beschwingt, intonatorisch extrem sauber, mit glasklarer Aussprache, in optimaler Balance der Stimmgruppen. Nicht nur im „Since by Man came death“ gestalten die Sänger die Kontraste in Text und Musik mit einer extrem breit gespannten Palette von Klangfarben. Die „Akamus“ bietet Leichtigkeit und Vertiefung auf Augenhöhe. Nicht nur im „For unto us a Child is born“ scheinen sich Chor und Orchester gegenseitig immer weiter zu stupsen. Und beim Wort „reigneth“ im „Hallelujah“ wird sogar in exakter Koordination gemeinsam getrillert. Die Solisten singen allesamt exzellent; sehr englisch, sehr gerade. Und aus dem „He was despised“ formt der Countertenor Tim Mead ein kleines Drama im großen.

Der Kammerchor figure humaine singt Chor-Bearbeitungen romantischer Lieder

Auf die CD „Kennst du das Land . . .“ folgt jetzt mit „ . . . wo die Zitronen blühn“ (Carus/Naxos) der zweite Teil von Chor-Bearbeitungen französischer und deutscher Solo-Lieder (bzw. Mélodies), die der Dirigent Denis Rouger für seinen Stuttgarter Kammerchor figure humaine geschrieben hat – in sehr kundiger Nachfolge des großen Transformators von romantischer Ein- in Mehrstimmigkeit, Clytus Gottwald. Das hörbar sehr junge Vokalensemble begibt sich, sehr transparent und beweglich am Flügel begleitet von Julia Kammerlander und Katharina Schlenker, mit exzellenter Klangkultur an Orte der (nachromantischen) Sehnsucht. Selbst in dichten Sätzen bleibt die Leichtigkeit erhalten. Originalwerke für Chor ergänzen die schöne CD. Besonders eindrucksvoll: die dramatischen Parallelführungen in Hugo Wolfs „Feuerreiter“.