Von September 2018 an werden an der Waldschule in Stuttgart-Degerloch auch Schulanfänger unterrichtet. Mit zwei ersten Klassen beginnt auf der Waldau der Betrieb. Eine Familie erzählt, was sie am außergewöhnlichen Profil überzeugt hat.

Degerloch - Lenni hat sein Okay gegeben. Das Kindergartenkind hat sich dieser Tage die Schule angeschaut, auf die es nach dem Sommer gehen wird, und das Urteil lautet „cool“. Papa Oliver Kirschner zeigt ein Bild auf dem Handy, auf dem Lenni im Chemieraum hinter einer großen Schutzbrille hervorgrinst, während er etwas in eine Flamme hält. „Das hat verschiedene Farben gemacht“, erzählt der Sechsjährige, außerdem durfte er Kristalle unterm Mikroskop anschauen.

 

Lenni wird eines von 40 Kindern sein, mit denen in Degerloch im September etwas Nagelneues beginnt. Die private Waldschule auf der Waldau eröffnet ihre Grundschule, und die wird ein Profil haben, das es bislang in der Landeshauptstadt so nicht gibt. Zum einen wird mit einem Mint-Profil gearbeitet (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), zudem richtet sich ein Inklusionsprojekt an Kinder mit Diabetes Typ 1. Bereits im Juli hatte das Kultusministerium das vom Privatschulgesetz geforderte „besondere pädagogische Interesse“ anerkannt und die Genehmigung erteilt.

Ernährung, Bewegung und Gesundheit im Unterricht fokussiert

Lenni ist kein Diabetiker, dennoch ist für seine Eltern die Tatsache, dass Ernährung, Bewegung und Gesundheit im Unterricht fokussiert werden sollen, ein Entscheidungskriterium gewesen. Auch die Vorstellung, dass der Sohn – ein typischer kleiner Forscher, wie sein Vater lachend sagt – früh mit den Mint-Disziplinen in Berührung kommt, gefällt den beiden Informatikern. „Uns hat das pädagogische Konzept überzeugt. Es wird ein Schwerpunkt darauf gelegt, dass die Kinder befähigt werden, sich selbst Sachen beizubringen. Das ist ein ziemlicher Bruch mit dem klassischen Unterricht, wie ich ihn früher hatte“, sagt der 41-Jährige. Die Eltern erhoffen sich eine individuelle Förderung, mehr Möglichkeiten. Noten, hat Oliver Kirschner erfahren, soll es nicht gleich von Anfang an geben. „Manchen ist das vielleicht zu unkonventionell“, glaubt er.

An der Waldschule wird angelehnt an Montessori gelehrt. Erfahrung hat man. Die Einrichtung, gegründet 1872, ist die zweitälteste Privatschule und die älteste Ganztagsschule (seit 1952) in Stuttgart. Die Nachfrage übertrifft die Zahl der Plätze deutlich. 668 Schüler sind es aktuell. Und auch bei der Grundschule scheint der Rektor Kai Buschmann den richtigen Riecher gehabt zu haben. Die zwei Lehrerinnen, die eingestellt wurden, um die beiden ersten Klassen zu übernehmen, führten „pausenlos“ Aufnahmegespräche. „Es sind viel mehr Gespräche als Plätze“, sagt er.

Der Schulleiter glaubt an hohen Bedarf

Auch Familien mit Diabetiker-Kindern hätten Interesse bekundet. „Wir denken, dass der Bedarf sehr hoch ist“, sagt der Schulleiter. Starten wolle man indes langsam, mit ein bis zwei Kindern, und sich dann „langsam rantasten“ an das deutschlandweit einmalige Konzept. Mittelfristig sollen drei bis vier Kinder mit Diabetes pro Klasse vom Unterricht unter besonderer Aufsicht profitieren.

Die Umbauarbeiten laufen. In Blickrichtung Georgiiweg wird aktuell in einem Trakt daran gearbeitet, die Küche zu vergrößern und Raum für einen Musiksaal und die Verwaltung zu schaffen. Wenn die Umzüge in diesen Anbau vonstattengegangen sind – zwischen Ostern und Pfingsten sollen die Bauarbeiter dort fertig sein –, kann an anderer Stelle ein alter Gebäudeteil abgerissen und durch einen neuen ersetzt werden. In diesen Neubau, geplant für acht Klassen, sollen 2019 die Grundschüler ziehen. 5,5 Millionen Euro sind veranschlagt.

Oliver Kirschner ist ein ehemaliges Waldschul-Kind. Sein altes Klassenzimmer wird dem Abriss zum Opfer fallen. Das hat er jüngst bei Tag der offenen Tür erfahren und schnell noch einen letzten Blick in den Raum geworfen. „Es ist heute schon eine andere Schule, aber ich erkenne vieles wieder. Und ich habe sie in guter Erinnerung. Ich hatte nie das Gefühl, dass sie elitär sei“, sagt der gebürtige Degerlocher. Er grinst. Er habe seinen alten Physiklehrer getroffen, heute sei dieser Konrektor. Vieles ist also noch beim Alten. Anderes, glaubt er, wird sich finden. „Der Alltag wird zeigen, wie sich alles entwickelt.“