Wie starb 1988 der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Werner Nachmann? Akutes Herzversagen, hieß es offiziell. Zweifel daran gab es immer wieder. Nun prüft die Staatsanwaltschaft, ob wegen neuer Hinweise Ermittlungen wegen Mordverdachts einzuleiten sind.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Tod des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Werner Nachmann, beschäftigt nach fast dreißig Jahren erneut die Justiz. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe prüft seit mehreren Monaten, ob Ermittlungen wegen Mordes einzuleiten sind; den dafür notwendigen Anfangsverdacht hat sie bisher nicht bejaht. Auslöser der Prüfung sind erst jetzt bekannt gewordene Aussagen einer Vertrauten Nachmanns gegenüber einer Wirtschaftsdetektei, die vom Zentralrat mit der Untersuchung der Finanzaffäre um den Ex-Vorsitzenden beauftragt worden war.

 

Nachmann hatte in der Zeit vor seinem Tod im Januar 1988 seiner Vertrauten gegenüber offenbar mehrfach die Sorge geäußert, allmählich vergiftet zu werden. Er benannte angeblich auch Personen, die er dessen verdächtigte. Im letzten Telefonat an seinem Todestag habe er ihr gesagt: „Ich glaube, die haben’s geschafft.“ Die entsprechenden Protokolle hatte der Detektiv über unsere Zeitung der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Diese hatte zuvor Interesse an neuen Erkenntnissen bekundet, da ein Mord nicht verjähren würde. Die Prüfung dauere an, sagte ein Sprecher.

Der Verbleib der Millionen ist ungeklärt

Nach Nachmanns Tod waren erhebliche finanzielle Unregelmäßigkeiten bekannt geworden. Es fehlten Zinserträge von etwa 30 Millionen Mark aus Geldern zur Entschädigung von jüdischen Naziopfern, die Nachmann verwaltet hatte. Er soll die Mittel unter anderem auf Konten seiner Firmen umgeleitet haben. Ihr Verbleib ist bis heute weitgehend ungeklärt, wie der Zentralrat auf seiner Homepage feststellte.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte 1988 Ermittlungen wegen Untreue gegen mögliche Mittäter aufgenommen, aber keine gefunden; weder gegen Mitarbeiter noch gegen Angehörige gebe es einen Verdacht. Die Todesumstände waren damals offiziell nicht Gegenstand des Verfahrens, kamen aber immer wieder zur Sprache. So berichteten mehrere Zeugen, Nachmann habe wenige Tage vor seinem Tod schwere Gesundheitsprobleme gehabt und wie eine „wandelnde Leiche“ ausgesehen. Die zuständigen Ärzte schrieben damals, als Todesursache werde „akutes Herzversagen vermutet“; Hinweise auf einen nicht natürlichen Tod gebe es nicht.

Rabbiner rügt unterbliebe Obduktion

Seit 1988 wurde dies gegenüber der Justiz immer wieder angezweifelt. So forderte eine Bonner Journalistin bereits im Todesjahr eine Obduktion; sie habe gehört, Nachmann sei an Gift gestorben, sagt sie heute. Ein früherer Landesrabbiner rügte es ebenfalls als Versäumnis, dass keine Obduktion stattgefunden habe; dies wäre mit jüdischen Regeln vereinbar gewesen.

Der Zentralrat teilte auf Anfrage mit, man habe zum Fall Nachmann keinerlei Akten mehr. Daher könne man sich nicht zu Hinweisen äußern, der mit der Suche nach dem Geld beauftragte Detektiv sei in dem Moment gestoppt worden, als er eine heiße Spur ins Ausland gefunden habe.

– Die „Leichensache“ Werner Nachmann