Wie ergeht es Schwaben in der Bundeshauptstadt? In einer Porträtserie sucht unsere Berlin-Korrespondentin Katja Bauer nach Antworten. Zum Auftakt: die Schauspielerin und Prenzlschwäbin Bärbel Stolz.

Stuttgart/Berlin - Wenn Bärbel Stolz anfängt zu lächeln, dann ist das nicht so ein Stückchen zögerlicher Mimik, das sich langsam seinen Weg bahnt. Es geht: zack. Augenblitzen, weiße Zähne, Herzformlippen, kaum merkliche Rückwärtsbewegung des Kopfs – eine Einladung zum Mitlächeln.

 

An diesem Morgen sitzt die Schauspielerin in einem Café am Helmholtzplatz, dem Helmi, bester Prenzlauer Berg. Es gibt Kinderspielplatz, Mandelmilch und veganes Schuhwerk in Sichtweite. Sie bestellt ihren stinknormalen Cappuccino mit Kuhmilch in einwandfreiem Hochdeutsch. Vielleicht hört man eine ganz kleine Berliner Färbung. Kein Schwäbisch? Das überrascht manchen, der ihr auf der Straße begegnet und sie als ihre Kunstfigur erkennt: die Prenzlschwäbin. Was inzwischen immer öfter passiert.

Die Frage, die sie zum Lächeln gebracht hat, hört sie häufig: Wie kam sie bloß auf die Idee für die Prenzlschwäbin? Selbsterfahrung? „Das war gar keine Absicht“, sagt die Schauspielerin. Dafür, dass ihr die Figur aus Versehen passiert ist, läuft es zurzeit ziemlich gigantisch: Seit sich vor gut einem Jahr der Clip „Shit Prenzlschwaben say“ wie verrückt im Netz verbreitete, ist Bärbel Stolz dauerpräsent. Im Sommer ist ihr Erzählband „Isch des Bio?“ erschienen, seitdem steht er auf den Bestsellerlisten. Ein Filmvertrag ist unterzeichnet. Und im Oktober hat das Live-Programm von Bärbel Stolz im Stuttgarter Theaterhaus Premiere. Ausverkauft, natürlich.

Der Dialekt als Zusatzqualifikation

Als die Prenzlschwäbin geboren wurde, war Bärbel Stolz eigentlich gerade dabei, ihre Selbstdarstellung für ihre Schauspielagentur aufzuhübschen. Es war Ende 2013, und die Schauspielerei zeigte sich gerade von ihrer eher mühseligen, unerfreulichen Seite. „Sprich doch eine Szene auf Schwäbisch“, sagte die Agentin, Dialekte sind schließlich eine Qualifikation – und wie jeder Schwabe weiß, gibt es in Deutschland kaum Schauspieler, die ordentlich Schwäbisch sprechen. „Ich wollte nicht einfach irgendetwas reden“, sagt Bärbel Stolz.

Der heimische Küchentisch war dann der Ort, an dem die Prenzlschwäbin geboren wurde. Zusammen mit ihrem Mann, einem Dokumentarfilmer, heckte Stolz den Charakter jener Frau aus, die irgendwann aus der Provinz ins wilde Berlin geflüchtet ist – und es jetzt daheim bei sich im Prenzlauer Berg mal so richtig schön haben will: mit Soja-Latte, Lavendel-Hibiskus-Eis für den Nachwuchs, Nachtruhe ab zehn mitten in der Innenstadt und einem elterngefütterten Sparkonto, das für die kernsanierte Eigentumswohnung reicht.

„Gwyneth, net uff die Rutsche bronza!“

Der erste Videoclip handelte vom Integrationskurs für Schwaben. Es folgten weitere auf Stolz’ Youtube-Kanal. Eine kleine Fangemeinde freute sich über die Clips – aber erst als Bärbel Stolz zusammen mit ihrem Bruder Martin Schleker „Shit Prenzlschwaben say“ präsentierte, ging es richtig rund: Mehr als eine Million Zuschauer haben mittlerweile ihre Clips gesehen, deren selbstironischer Blick auf das Klischee der alles verdrängenden Start-up-Schwaben vom Kollwitzplatz in der Spielplatzermahnung gipfelt: „Gwyneth, net uff die Rutsche bronza!“

Wie viele eigene Erfahrungen verarbeitet Stolz in der Prenzlschwäbin? „Eigentlich habe ich erst mit der Figur angefangen, mich mit dem Klischee auseinanderzusetzen – und damit, was sein Kern ist.“

Wer auf der Schwäbischen Alb aufwächst, der weiß aber, was Prägung ist. Einer in der Familie, ihr Vater, hat sich in der vom Großvater gegründeten Freilichtbühne Hayingen schon am Schwabentum abgearbeitet. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich dieses Erbe antrete“, sagt Bärbel Stolz. Als die Familie von Esslingen auf die Alb zog, wurde die Bühne für das Kind wichtig. „Ich lebte da praktisch, ich habe es immer geliebt.“ Ansonsten? Normale Dorfjugend. Eine Stunde Schulweg mit dem Bus nach Riedlingen, in die Disco am Wochenende nur, wenn man einen Fahrer gefunden hat. Und von der wilden Großstadt träumen in einer Gegend, in der der Flohmarkt zu den größten Ereignissen des Jahres zählt.

Von der Alb nach Kreuzberg

Wo die eigenen Wurzeln sind, merkt man ja oft erst, wenn man weiterzieht. So war es auch bei Bärbel Stolz. 1996 kam sie nach Berlin – und liebte die Stadt von Anfang an. Für ihre Größe, ihre Wildheit und das Raue, Ungemachte. Sie machte ihre Aufnahmeprüfung auf der Schauspielschule Ernst Busch – mit „Jeanne oder Die Lerche“, der „Hexenjagd“, „Dantons Tod“. Lebte erst in Kreuzberg, dann in einem jener damals noch unsanierten Häuser im Prenzlauer Berg und fuhr dann jeden Morgen spielwütig in Richtung des tristen Stadtteils Oberschönweide zum Lernen.

„Zum ersten Mal war ich dort bewusst mit der Tatsache konfrontiert, dass ich Schwäbin bin.“ Zu Hause auf der Alb wurde zwar Hochdeutsch gesprochen – aber die Färbung, die war da. „Ich hab’ mir das Hochdeutsche richtig hart eingebimst“, sagt sie heute. Und gibt, zwischen zwei Schluck Kaffee, eine Kostprobe der Laute, an denen Sprecherzieher Schwaben erkennen. „Sagen Sie mal ‚Eisenbahn‘.“

Zu den Proben tauchte Stolz immer sehr pünktlich auf: „Ich war halt vorher da und hab’ aufgebaut, damit wir möglichst lang Zeit zum Proben haben“, erinnert sie sich. „Toll, wie du arbeitest“, sagten die Lehrer. Andere Schülerinnen kamen spät, diskutierten ewig über ihre Rolle. Bärbel Stolz hatte das Leben auf und hinter der Bühne schon als Kind so sehr eingeübt, dass sie wusste, was es alles braucht, bis so ein Unternehmen funktioniert. Sie liebte die Ausbildung – auch weil sie fand, dass sie einen an die Grenzen der eigenen Persönlichkeit führte. „Es ist schwer, Kritik auszuhalten, anzunehmen, damit umzugehen, dass jeder dir ständig ein Label aufdrückt.“

Durchgefallen als Lady Macbeth

Irgendwann sagte ein Ausbilder zu Bärbel Stolz, was sie noch brauche für ihr Darstellerinnentum: „Ändere deine Persönlichkeit.“ Er meinte das ernst. „Du bist zu nett, sei doch zickiger.“ Umsetzen konnte – oder wollte – sie den Rat des Dozenten jedenfalls nicht. Ihre Art von Rebellion sah so aus, dass sie ihre Abschlussarbeit über einen Satz von Jean-Louis Barrault schrieb: „Theater funktioniert nur durch Menschen, mit Menschen, für Menschen.“ Heute denkt sie, dass dieses Effizienzorientierte in ihr, der Unwille dagegen, andere mit Diskussionen von der Arbeit abzuhalten, vielleicht auch was mit der schwäbischen Prägung in ihr zu tun hat.

Wenn der Intendant Friedrich Schirmer es gewollt hätte, dann wäre aus der Berlinerin Bärbel Stolz vielleicht längst wieder eine Stuttgarterin geworden – und es gäbe keine Prenzlschwäbin. Doch aus dem Vorsprechen am Eckensee wurde kein Engagement. Wenn die Schauspielerin davon erzählt, dann nicht in einer Geschichte der Enttäuschung – im Gegenteil, es ist eine von der Liebe zum Spiel: Mit der strengen Schauspielerin Swetlana Schönfeldt probte sie damals die Lady Macbeth für den Termin. Sie sollte spielen, aber es war auf einmal so schwer, sich innerlich zu entblößen. „Ich stand da, und ich dachte, das zeig’ ich den Leuten jetzt nicht von mir.“ Sie traute sich doch. Das Sich-Überwinden, diese Drahtseilakte. „Das ist das, was an diesem Beruf süchtig macht“, sagt Bärbel Stolz. Wie passt da die Prenzlschwäbin rein? „Sie ist ja nur ein Teil meiner Arbeit.“ Ein Teil, der ihr etwas klargemacht hat: „Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich ankomme, wenn ich auf der Bühne Spaß habe.“

Eigenes Comedy-Programm

Nach ihrer Ausbildung spielte Bärbel Stolz unter anderem in den Fernsehserien „Verliebt in Berlin“ und „Türkisch für Anfänger“. Einfach abzuwarten, welche Angebote kommen würden, war schon damals nicht ihrs – lieber machte sie einfach. So entstand zum Beispiel 2009 ein Roman mit dem Titel „Dating Down“. Zu den ganz eigenen Projekten gehört auch der Spielfilm mit dem Titel „Marcel über den Dächern“ – Bärbel Stolz entwickelte und drehte ihn in der eigenen Wohnung zusammen mit ihrem Mann, ihrem Bruder und befreundeten Schauspielern. Einfach weil keiner mehr Lust hatte zu warten, ob von irgendwoher irgendwann mal Geld für einen Film kommt. Also machte das Team alles selber. „Die Oma hat das Kind gesittet, und bevor die Kollegen kamen, hab’ ich noch schnell die Klos geputzt, die Kostüme mit Febreze eingesprüht und Essen gemacht. Im vergangenen Jahr hatte der Film Premiere.“

Seit Neuestem steht neben Schauspielerin noch eine weitere Berufsbezeichnung auf Bärbel Stolz’ Website: Comedian. Denn vom 6. Oktober an steht sie als „Prenzlschwäbin“ mit einem eigenen Comedy-Programm live vor Publikum. Für diese Entscheidung hat sie Mut gebraucht. „Eigentlich dachte ich, ich bin das nicht“, sagt Stolz. Es war das Stuttgarter Publikum, das sie vom Gegenteil überzeugte. Zehn Minuten stand sie bei der Open Stage in der Rosenau auf der Bühne. Danach traute sie es sich zu. Nun wird sie den Leuten im Theaterhaus und danach in Tübingen, Esslingen, Heilbronn – und Berlin – aus ihrem prenzlschwäbischen Herzen erzählen: von der Notwendigkeit, bei Aufregung ins Dritte Auge zu schnaufen zum Beispiel. Das hilft gegen alles.