Der Moment als Konzept und im Zweifelsfall eben ein bisschen „untenrum“: Ab Sonntag reden sich Jan Böhmermann und Olli Schulz wieder um Kopf und Kragen. Auf ZDF-Neo startet die zweite Staffel ihrer Talkshow „Schulz & Böhmermann“.

Stuttgart - Große Momente bot die erste Staffel der Talkshow bereits in der ersten Folge: Da war unter anderem auch der bekennende und verurteilte Hochstapler Gerd Postel geladen – ein gelernter Postzusteller, der zwischen 1980 und 1995 mehrmals als falscher Arzt in teilweise leitenden Anstellungen auch als Psychiater praktizierte. Ein Mann, der völlig betrunken von der eigenen Raffinesse, keinerlei Widerspruch oder Rückfragen zu seiner Person und Motivation duldet und sich augenscheinlich für das einzig relevante Genie der Weltgeschichte hält.

 

Nachdem Jan Böhmermann mehrmals an dessen Arroganz abprallte, stieg er auf Postels Selbstbild als Ikone der Psychiatrie ein: „Ich möchte Ihnen jetzt eine Frage stellen, die ungefähr dem entspricht, was passiert, wenn man auf Google nach Google sucht: Was glauben Sie, was mit Ihnen nicht stimmt?“

Das war erfrischendes Fernsehen. Zumal im Talkshowgeschäft mittlerweile entweder Konsens und Promotions-Geplauder oder kalkulierter Krawall das Geschehen bestimmt. „Schulz & Böhmermann“ nährt sich da wohltuend aus der Chemie der Anwesenden und eben aus dem Moment. Wenn der frühere TV-Wettermann Jörg Kachelmann mehrmals mit dem Holzhammer auf seine neue Website hinweist, dann fragt Olli Schulz nach Kachelmanns fünften Anlauf eben: „Herr Kachelmann, wie hieß nochmal ihre Website?“

Das Kunststück, sich selbst ins Wort zu fallen

Dennoch: Nur vier Folgen und ein „Best Of“-Zusammenschnitt – die erste Staffel der Talkshow „Schulz & Böhmermann“ wirkte vor einem Jahr fast wie ein schüchterner Test am Programmrand bei ZDF neo. Wie der Versuch, ob nicht nur das Publikum, sondern auch Jan Böhmermann und Olli Schulz der Sache gewachsen wären – denn letztendlich sind das auch zwei Typen, die sich ab und an so gerne selbst reden hören, dass geladene Gäste unter Umständen zu kurz kommen könnten.

Böhmermann wiederum schaute da bereits auf zwei erfolgreiche Staffeln irres Talkfernsehen gemeinsam mit der Bestseller-Autorin Charlotte Roche zurück. Doch „Roche & Böhmermann“ wurde wegen interner Unstimmigkeiten eingestellt. Die Variante mit dem Musiker Olli Schulz ist da gewissermaßen das Update des Formats – Schulz statt Roche. Der Musiker und Gelegenheitsmoderator bringt allerdings ganz andere Qualitäten mit als Roche, die oft darauf bedacht war, die eigene Lässigkeit zu betonen oder gezielt zu provozieren: der 43-Jährige redet, was ihm gerade auf die Zunge fällt, sortiert Gedanken in Echtzeit und schafft sogar das Kunststück, sich dabei selbst ins Wort zu fallen.

Spätestens als Schulz 2012 selbst bei Roche und Böhmermann zu Gast war, empfahl er sich mit einem denkwürdigen Monolog für größere Aufgaben im Meinungsgeschäft: „Is’ mir egal, ob die Onkelz rechts oder nicht waren. Die sind scheiße. Das ist einfach nur dumme Musik“, schimpfte Schulz und setzte zum hitzigen Rundumschlag gegen das Popgeschäft an.

Nun wäre es ein Leichtes, den gebürtigen Hamburger auf derartige Fernsehstunts oder seine Rolle als tatsächlich besoffener Berlinale-Promireporter „Charles Schulzkowski“ an den Rande der Unzurechnungsfähigkeit runterzurechnen. Doch auf seiner letzten Platte „Feelings aus der Asche“ haute Schulz eben auch Zeilen wie diese hier raus: „Ich zähl’ bis zehn und halt die Luft an, warte ab, was gleich passiert, du musst dich nicht wundern, die Funken werden bunt sein. Es ist mein Herz, das explodiert.“ Zusammen mit der Ernsthaftigkeit seiner Musik, zeigt sich Schulz da vielmehr als denkender 360-Grad-Entertainer mit eindeutiger „Untenrum“-Begabung: Wenn er Gangsterrap-Zeilen oder Herrenwitze rezitiert, schimmert schon durch, dass er beides durchaus vernünftig einzuordnen weiß.

Sibylle Berg als Ass im Ärmel

Dass die Chemie zwischen Schulz und dem vergleichsweise strukturierten Fernseh-Profi Jan Böhmermann stimmt und neben amüsantem Quatsch und Selbstreferenz auch große Kunst entsteht, ist hinlänglich bekannt. Seit über fünf Jahren zeigten das beide erst mit ihrer Eins Live-Radioshow „Sanft & Sorgfältig“ und mittlerweile im Podcast „Fest & Flauschig“ beim Streaming-Dienst Spotify. Die zwei können miteinander, und wenn’s mal fetzt, dann fetzt es eben in aller Freundschaft.

Ein Ass im Ärmel ist dennoch nie verkehrt: Bestseller- und Bühnenautorin Sibylle Berg. Obwohl die nach der ersten Staffel „Schulz & Böhmermann“ ankündigte, sich jetzt endlich wieder um „ihren Nobelpreis Scheiß“ zu kümmern, wird die Autorin auch dieses Mal Texte zu den einzelnen Gästen der Show verfassen und diese hoffentlich auch wieder bestens genuschelt und in irrwitzigen Einspielfilmen vortragen. Zumal es natürlich nie schadet, eine hochkulturelle Instanz wie Frau Berg im Freundeskreis zu wissen. Als sie in der „Best-Of“-Folge mit den beiden Moderatoren die erste Staffel besprach, wirkte sie fast wie eine wohlwollende Mentorin, die beiden gleichermaßen Mühe und Talent, wie auch bravouröses Scheitern bescheinigte.

Doch mögen sowohl Schulz als auch Böhmermann immer wieder selbst mit ihrer Konzeptlosigkeit und Nachlässigkeit kokettieren – es steckt mehr dahinter: „Schulz & Böhmermann“ ist eine Hommage an die Geschichte des Rede-Fernsehens: es wird geraucht, geflucht, gesoffen und auch mal abgewartet, ob der Moment etwas hergibt. So ähnlich wie 1971 in der TV-Talkrunde „Ende offen“ (WDR): da wurde es Nikel Pallat, Manager der Band Ton Steine Scherben, irgendwann zu bunt. Um der Angelegenheit etwas Nachdruck zu verleihen, zertrümmerte er den Tisch mit einer Axt. „Schulz & Böhmermann“ ist ein moderner Stammtisch, es werden Gäste eingeladen, die hoffentlich Geschichten zu erzählen haben, und das Ende ist offen. Jeden ersten Sonntag und zumindest zehn Monate lang.

„Schulz & Böhmermann“ – So, 5.3., 23.15 Uhr, ZDF-Neo. Gäste: Ben Tewaag, Laura Himmelreich, Schorsch Kamerun und Rolf Pohl.