Journalisten sind im Werk der Schriftstellerin Sibylle Berg eine eher problematische Berufsgruppe. Nun macht sie selber Zeitung, wenigstens für einen Tag. Zusammen mit dem Grafiker und Zeichner Henning Wagenbreth gestaltet sie am Donnerstag den StZ-Kulturteil.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Journalisten sind im Werk der Schriftstellerin Sibylle Berg eine eher problematische Berufsgruppe. Auch in ihrem neuen Stück „Angst reist mit“, das sie zurzeit für das Stuttgarter Schauspiel erarbeitet, sind im Kreis zivilisationsflüchtiger Insulaner zwei Redakteure, die einer vermutlich gründlichen und radikalen Antiillusionstherapie unterzogen werden. Unter den Porträtisten des zeitgenössischen Lebens ist Berg die unerreichte Meisterin für drastische Höllenfahrten. Lustvoll und beunruhigend wirklichkeitsgetreu malt sie das Inferno der Jetztzeit in leuchtenden Farben und dunklem Witz: Magersüchtige Zombies, unbegabte Rocksänger, erhängte Broker bevölkern ihren Garten der Lüste – und hin und wieder eben auch ein paar in die Obdachlosigkeit abgestürzte Jungjournalisten.

 

Nun macht sie selber Zeitung, wenigstens für einen Tag. Zusammen mit dem Grafiker und Zeichner Henning Wagenbreth gestaltet Sibylle Berg den Kulturteil der Stuttgarter Zeitung. Für dieses „Extrablatt“ ist sie diesmal nicht in die Hölle hinabgestiegen, sondern vertraut auf ein Korrespondentennetz wackerer Stadtbewohner. Eine Seite von Stuttgartern für Stuttgarter soll es werden, verrät die zarte und eher zurückhaltende Frau, die überhaupt nichts gemein hat mit den gebrochenen Gestalten ihrer Bücher.

Serotoninfreie Wirklichkeitsdiagnosen

Zwischen silbernen Putten und weinrotem Plüsch sitzt sie im nachmittäglichen Frieden eines Stuttgarter Schwulenlokals, über dem sie sich für die Probenzeit am Theater eingemietet hat. Sibylle Berg trinkt grünen Tee und ist sehr freundlich. Die Unterhaltung fließt so dahin, über Bandscheiben, Ärzte („ich habe eine große Vorliebe für exquisites chirurgisches Handwerk“) und Journalismus. „Früher waren Journalisten alte klugscheißerische Männer, die mit einer wahnsinnig sturen Ernsthaftigkeit meinten, die Welt erklären zu können“, skizziert sie erfrischend direkt die Entwicklung einer Branche, an der sie mit brillanten Kolumnen und Reportagen selbst Teil hat. „Dann wurden diese alten Männer ausgetauscht durch jüngere, die mit ähnlicher Arroganz, aber viel weniger Wissen versehen waren.“ Sie nimmt einen Schluck aus ihrer Tasse, kurz gezogen putscht grüner Tee etwas auf. „Mittlerweile versuchen alle den Online-Journalismus zu kopieren, der Redakteur tritt als geknechtete Seele in Erscheinung – ein schlecht bezahlter Mensch mit Rückenproblemen, dem man seine Ambitionen nicht mehr anmerkt.“

Wegen ihrer serotoninfreier Wirklichkeitsdiagnosen erhält die Autorin und „Spiegel-Online“-Kolumnistin immer wieder Morddrohungen, was sie eigentlich nicht versteht. Andere wollen sie heiraten. Beides macht ihr Angst.

„Wir haben alle Rückenschmerzen, weil wir eigentlich schon tot sein müssten“, sagt Sibylle Berg. Sie hat angefangen, zu Kieser zu gehen, um diese „abstoßenden Übungen“ zu machen. „So schleppen wir uns noch fünfzig Jahre dahin, bis zum Ende.“ Dabei ist Alter das Letzte, was sich angesichts ihrer Erscheinung aufdrängt, möglicherweise eine Wirkung des grünen Tees, dem in großen Mengen genossen eine lebensverlängernde Wirkung zugeschrieben wird. Man könnte diesen Verlauf des Gesprächs nun ein wenig deprimierend finden. Aber es ist wie immer bei Sibylle Berg: quicklebendig geglückte Sätze entschädigen für das tödliche Unglück, das sie im Ganzen entwerfen.

Als Mikrobiologin die Welt retten

Wenn sie noch einmal von vorn beginnen könnte, mit all ihrem Wissen um die Welt und das Kunsterzeugen, würde sie Mikrobiologie studieren. Sie würde damit vermutlich berühmt werden, und ein großes mikrobiologisches Institut gründen, das Pilze erforscht: „Ich habe es ein bisschen mit Pilzen.“ Pilze finden sich auch in ihrem neuen Stück, solche, die auf Insekten übergreifen und sie fernsteuern. Es gibt Vermutungen, dass das auch bei Menschen funktioniert. Dann könnte man als Mikrobiologin vielleicht die Welt retten. Besser denn als Schriftstellerin.

Draußen laufen Menschen vorbei, Nieselregen und Dämmerung liegt in der Luft. Trotzdem blickt Frau Berg voller Wohlwollen auf den kleinen Platz vor dem Lokal. Ein blauangemaltes Kind gibt den Anstoß für eine Lobeshymne auf die Stadt. „Das ist ein wahnsinnig nettes Völkchen hier: die Stuttgarter flanieren durch die Straßen, hin und her, sogar sonntags, hin und her, auch bei schlechtem Wetter, und schauen ihre Karstadt-Schaufenster an.“ Als Bewohner dieser Stadt, als Journalist zumal, mag man nach diesen Worten noch schwanken, ob man nun Mord- oder Heiratsgelüste hegen soll. Aber ihre Neigung ist echt: Die Architektur gefällt ihr – „eine Ballung von richtig geschmackvollem Zeug“ –, den Tiefbahnhof hält sie nach den jüngsten Entwicklungen für „gegessen“, sorgt sich deshalb aber um die Stuttgart-21-Gegner. Letzte Woche lief sie noch an singenden und musizierenden Demonstranten vorbei: „Das ist eine Kirche geworden, aber was machen die Menschen denn nun, finden sie etwas Neues?“ Ihr Wort in Gottes Ohr.

Die Texte lösen ästhetisch ein, was die öde Gegenwart verweigert

Stuttgart ist auch der Ort, an dem die Theaterautorin Sibylle Berg ihr Schlüsselerlebnis hatte. Am Theater Rampe wurde die Dramatisierung ihres ersten Romans uraufgeführt. Seitdem geht sie der Frage nach, warum Theater immer so sein muss wie Theater. Nun hat sie mit ihrer Tourismus-Farce „Angst reist mit“ an der Seite des Schauspielintendanten Hasko Weber zum ersten Mal nicht nur als Autorin, sondern als Co-Regisseurin Gelegenheit, darauf Einfluss zu nehmen. Von der Idee, die Menschen zu erziehen, hat sie sich längst verabschiedet. „Mir geht es nur um Kunst, dass Momente entstehen, in denen man sich auflöst und glücklich ist.“ Und vielleicht ist das der entscheidende Punkt: dass die Endzeitvirtuosin und Glücksvernichterin Sibylle Berg in Wirklichkeit an nichts mehr interessiert ist, als jenen Anspruch auf Erfüllung zu behaupten, den die Welt – so wie sie ist – konsequent hintertreibt. Darin liegt der Grund für die eigentümliche Lust an ihren Texten. Sie lassen den Leser im Unheil nicht allein. Ihr bitterer Witz, ihre apokalyptische Komik, ihre wilde Inspiration lösen ästhetisch ein, was die öde Gegenwart ihren Figuren verweigert.

Was dies für ihre Stippvisite im Zeitungsgewerbe bedeutet, wird man demnächst an dieser Stelle lesen können.