Karies ist nach wie vor ein weltweites Gesundheitsproblem in allen Altersklassen. Wissenschaftler tüfteln daher schon an neuen Methoden, um dem Loch im Zahn zuvorzukommen – und zwar nicht nur mit Zähneputzen.

Tübingen - In Norwegen kann Karies einem Naturphänomen gleichkommen: Blitze schlagen in den Zahnschmelz ein, dass es nur so zischt und dampft. So zumindest zeigt es das Graffito in Oslo, wo die Heidelberger Zahnmedizinerin Diana Wolff gerade einen Kongress zur Kariesbehandlung besucht hat. Und wer ihr zuhört, wenn sie über die Therapien der Zukunft spricht, versteht: Tatsächlich hat das Vorkommen von Karies in den Mundhöhlen der Bundesbürger auch ein bisschen was Schicksalhaftes an sich. „Es liegt nicht allein an dem, was man isst und trinkt, und auch nicht nur daran, wie gründlich man die Zähne putzt“, sagt die leitende Oberärztin der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Uniklinikum Heidelberg. „Es liegt auch daran, wie die Mundflora aufgebaut ist.“

 

Auf den Zähnen tummeln sich bis zu 500 Arten von Bakterien

Auch wer es sich nur ungern bildlich vorstellen möchte: Der Mensch ist bewohnt. Mehr als 100 Billionen Bakterien bevölkern ihn, das sind 1,5 Kilogramm seines Körpergewichts. Und eine der beliebtesten Wohngegenden ist offensichtlich die Mundhöhle: Auf den Zähnen tummeln sich bis zu 500 Arten von Bakterien, rotten sich zu schleimigen stumpfen Biofilmen zusammen, die die Zähne umhüllen. Eine Art orale Wohngemeinschaft, wenn man so möchte – die nur gestört wird, wenn der Mensch morgens und abends zur Zahnbürste greift und seine Zähne putzt.

Doch die bakteriellen WG-Mitglieder lassen sich nicht auf Dauer rauswerfen. Sie kommen wieder. Tag für Tag. Um sich Schicht für Schicht wieder auf den Zähnen abzulagern. Und zwar nicht zufällig, wie nun Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung herausgefunden haben, sondern gezielt: „Während wir schlafen, tauschen sie sich aus, sprechen sich ab, organisieren sich und bauen ihre ganz spezielle Wagenburg.“ Das Problematische an diesem Gelage: Dort, wo sich besonders viele Bakterien tummeln, wird auch besonders viel Säure abgesondert. „Das greift den Zahnschmelz an, was Mediziner allgemein als Karies bezeichnen“, sagt Diana Wolff bei ihrem Vortrag im Tübinger Uniklinikum, wohin das Informationszentrum Zahngesundheit Baden-Württemberg eingeladen hat.

Einfach alle Bakterien entfernen – und gut ist? Nicht unbedingt!

Normalerweise greifen Zahnärzte bei derart hartnäckiger Besiedelung standardmäßig zum Antiseptikum Chlorhexidin. Nur, dass mit dem Mittel sämtliches bakterielles Leben im Mund ausgelöscht wird. „Es werden selbst Bakterien vernichtet, die vielleicht ganz nützlich sind – etwa weil sie uns andere schädliche Keime, die durch die Atemluft in den Körper dringen, vom Leib halten“, sagt Wolff. Zudem mussten die Ärztin und ihr Team in Heidelberg feststellen, dass diese antiseptische Kehrwoche nicht bei jedem den gewünschten Effekt hat: „Bei manchem baute sich die kariesbegünstigende Mundflora genauso auf wie zuvor“, sagt Wolff.

Der neue Ansatz der Kariesbehandlung sieht daher vor, den oralen Biofilm so zu verändern, dass er nicht mehr ganz so schädlich ist – beispielsweise indem man versucht, größere Bakterienansammlungen an den Zähnen zu verhindern.

Schädliche Bakterien locken gerne noch andere an – das muss verhindert werden

Ein Keim spielt dabei eine besondere Rolle: der Streptococcus mutans. Er ist der wichtigste Erreger der Karies und bei fast jedem Menschen im Speichel nachweisbar. Laut den Helmholtz-Forschern ist er stets einer der Ersten auf den Zähnen. Ist mutans dagegen nicht da, dann tun sich auch die anderen Bakterien mit der Zahnbesiedelung schwer. Daher wird nun versucht, eine Art Störsender zu entwickeln – winzig kleine Stoffe, die die molekulare Kommunikation zwischen den Bakterienarten unterbrechen sollen. „Es soll mutans schwer gemacht werden, andere Bakterien zu sich zu locken und diese schädlichen Anhäufungen zu vermeiden“, sagt Wolff. Diese Stoffe, so die wissenschaftliche Vorstellung, könnte man dann in die Zahnpasta mischen. Oder aber das Mittel wird bei der zahnärztlichen Kontrolle auf die Zähne gepinselt. Zumindest erste Tests, so Wolff, liefen erfolgreich.

Wieso nicht einfach gegen Karies impfen?

Andere Wissenschaftler gehen noch einen Schritt weiter: Wenn nämlich der Biofilm so verändert werden kann, dass Karieskeime in Schach gehalten werden können – warum sollte man dann nicht schon bei Babys die Mundflora so beeinflussen, dass Karieskeime praktisch keine Chance haben? Schon seit den 60er Jahren versuchen Wissenschaftler daher Karieskeime mithilfe einer Impfung auszuschalten. „Geplant ist ein Nasenspray, mit dem man den Organismus von Kleinkindern dazu anregt, im Speichel eigene Antikörper gegen mutans zu entwickeln“, sagt Wolff. In Tierversuchen sei das schon gelungen. Wann ein solches Produkt allerdings auf den Markt kommt, ist ungewiss.

Versuche, die Mundflora mit Lebensmitteln besonders gesund zu halten, gibt es schon

Und was kann man selber tun, um die mikrobielle Wohngemeinschaft so zu erziehen, dass sie Störenfriede wie den Streptococcus mutans in Schach hält? „Tatsächlich hat man schon versucht, mithilfe von Probiotika eine solch gesunde Mundflora herzustellen“, sagt Diana Wolff. Schließlich gilt es als erwiesen, dass Lebensmittel mit solch helfenden Bakterien auch die Darmflora beeinflussen können – was wiederum Auswirkungen auf den Stoffwechsel und das Immunsystem hat.

Doch es bräuchte wohl noch viele weitere Experimente, so Wolff. „Bislang gibt es nur unzureichend Hinweise darauf, dass Probiotika bei der Prävention oder Behandlung von Karies helfen können.“ Aber immerhin, so der wissenschaftliche Konsens: „Schaden tun die Probiotika auch nicht.“

Es hilft also nichts: Das Allheilmittel gegen Karies ist noch nicht gefunden. „Bislang bleibt der beste Schutz das Zähneputzen“, sagt Diana Wolff. Und wer dies nicht oft und gründlich genug tut, der muss sich wohl weiterhin beim nächsten Zahnarztbesuch der Frage stellen, ob man für das Bohren eine Spritze möchte.