Laut neuen Berechnungen würde sich der Kreis Böblingen als Standort für zahlreiche Windräder anbieten. Die CDU warnt vor „einer Verspargelung der Landschaft“, die Grünen raten, die Planung abzuwarten. Ein konkretes Projekt gibt es auch nicht.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Herrenberg - Die Herrenberger CDU befürchtet Zustände wie an der Nordsee: Aus dem Heckengäu könnte ein Offshore-Windpark werden, wenn der aktualisierte Windatlas in die Tat umgesetzt werden würde. Der Grünen-Landesumweltminister Franz Untersteller wolle 20 000 Windräder in Baden-Württemberg genehmigen, meint der Stadtverbandsvorsitzende Swen Menzel. Dutzende davon könnten künftig die Sicht von der Herrenberger Stiftskirche in Richtung Kuppingen verstellen. Allerdings machen die Christdemokraten auch ein bisschen viel Wind um die alternative Energieerzeugung im Kreis Böblingen. Die Grünen raten, die Planung erst einmal abzuwarten.

 

Neuer Planungsprozess erst am Anfang

„Es wird Jahre dauern“, ist Thomas Kiwitt überzeugt. Der leitende technische Direktor vom Verband Region Stuttgart ist für die Erstellung des Regionalplans zuständig, in dem mögliche Standorte für Windräder festgelegt werden. Durch die Aktualisierung des Windatlasses muss dieser Prozess praktisch von vorne begonnen werden. Denn laut der alten Version wehte im Kreis Böblingen nur ein laues Lüftchen. Nach den neuen Berechnungen würde fast jede freie Fläche Potenzial für die Stromerzeugung aus Windkraft bieten.

Diese Veränderung liegt laut Thomas Kiwitt daran, dass sich die Datengrundlage und die Leistungsfähigkeit der Computer für die Berechnung verbessert haben. Es liegt aber auch an einem veränderten politischen Klima und dem Atomausstieg. „Jede Region muss einen Beitrag leisten, Windräder müssen gebaut werden“, erklärt Thomas Kiwitt die Vorgabe. Der Süden könne sich nicht zurücklehnen und auf den windstarken Norden verweisen – zumal sich gegen den Bau der Hochspannungstrasse durch Deutschland ebenfalls Widerstand regt. „Eine Nulllösung wird es nicht geben“, stellt der Direktor klar.

Stillstand bei dieser Art von Stromerzeugung

Bei dieser Art von Stromerzeugung herrscht im Kreis Böblingen tatsächlich totaler Stillstand. Nicht einmal die zwei Windräder bei Jettingen können als ein Anfang gewertet werden, denn sie stehen auf Nagolder Gemarkung. Abgesehen davon ist von den 1996 errichteten Anlagen nur noch eine übrig, weil ihre Technik veraltet und die Höhe von 30 Meter zu niedrig ist. Der Versuch, in Weil der Stadt ein Windrad aufzustellen, ist 2019 am Naturschutz gescheitert. Im Kreis Böblingen ist Thomas Kiwitt schon früher aufgefallen, dass die Erfahrung mit dem Thema Windkraft „überraschend gering“ ist. In anderen Kreisen wie Göppingen oder Rems-Murr, wo sich bereits Rotoren drehen, hat er einen Gewöhnungseffekt registriert.

Der Windexperte der CDU Herrenberg befürchtet jedoch, dass es „mit einem lebenswerten Gäu bald vorbei ist“. Hansjörg Jung hält die Auswirkungen des Windatlasses für dramatisch, weil daraus für die Gemarkung Herrenberg ein Potenzial für 27 bis zu 250 Meter in den Himmel ragende Windräder errechnet wurde. Dafür Platz in Wäldern zu schaffen, hält er für rechtswidrig, die Wirtschaftlichkeit dieser Energieerzeugung in Baden-Württemberg für „ein großes Problem“. Seine Herrenberger CDU fordert zwar „mehr Energie aus unterschiedlichen regenerativen Quellen und mehr Energiespeicher“. Aber sie soll ihrer Meinung nach nicht hierzulande aus Wind hergestellt werden. Für das Genehmigungsverfahren würden außerdem rechtlich einwandfreie Bewertungen fehlen und der Abstand zu Wohngebieten sei mit 700 Metern zu gering.

Nur 2000 Windräder statt 20 000 geplant

Peter Seimer kontert die Kritik mit dem Beschluss der Bundesregierung, die die CDU immerhin seit 16 Jahren führe: Bis zum Jahr 2025 solle demnach der kompletten Strombedarf aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden, erklärt der Landtagskandidat der Grünen im Wahlkreis Herrenberg/Leonberg. Die von der CDU in den Raum gestellte Zahl von 20 000 neuen Windrädern hält er für völlig aus der Luft gegriffen. Seit Regierungsantritt der Grünen im Land sei der Anteil von Windstrom immerhin vervierfacht worden – auf etwas mehr als fünf Prozent. Seine Partei wolle für den Ausbau der Windkraft Flächen im Staatswald nutzen, dort sei aber nur Potenzial für 2000 Windräder. Und Thekla Walker weist darauf hin, dass es bereits bestehende Gesetze mit klaren Vorgaben für Abstandsregelungen gebe. „Wir wollen in Baden-Württemberg einen Energiemix aus erneuerbaren Energien, der dauerhaft Klimaneutralität garantiert, um diesen Planeten für zukünftige Generationen bewohnbar zu halten“, erklärt die grüne Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Böblingen.

Abgesehen von der Politik weisen die Grünen darauf hin, dass der Windatlas nur Potenzialflächen für Windräder ausweist, die Planung müsse noch erfolgen. Thomas Kiwitt wird den Prozess in absehbarer Zeit beginnen und zunächst mit den Kommunen und der Bevölkerung Standorte definieren. Die Regionalversammlung trifft die endgültige Entscheidung darüber. Ob dann überhaupt gebaut wird, was theoretisch möglich ist, hält er für fraglich. „Nach meinem Eindruck orientieren sich die Investoren nicht am Windatlas des Landes“, sagt der Verbandsdirektor.