Von kleinen Unfällen bis Terrorwarnungen – moderne Leitzentralen sollen die Polizei logistisch in die Lage versetzen, die Sicherheit im Land aufrechtzuerhalten. Was aber können sie leisten – und was nicht?

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Dass Stuttgart 21 ihn vorzeitig den Job kosten könnte, hatte der einstige Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf vor über zehn Jahren nicht vorgesehen. Wohl aber die Entwicklung, dass es weniger, dafür größere Einsatzzentralen geben müsse. „Es gibt es zu viele“, hatte er einst beim Blick auf den Hinterhof des Polizeipräsidiums gesagt – und er sollte Gehör finden. Dort steht nun ein 6,95 Millionen Euro teurer Neubau eines Führungs- und Lagezentrums, der am Dienstag auf dem Pragsattel seiner Bestimmung übergeben wurde. Das Land rüstet auf: Bis 2020 soll es 14 moderne Polizei-Großzentralen im Land geben.

 

Spannend ist das Programm besonders für die unmittelbaren Nachbarn Stuttgarts: Ein Notruf aus Fellbach (Rems-Murr-Kreis) soll demnach 66 Kilometer entfernt in Aalen bearbeitet werden. Wer in Leinfelden-Echterdingen (Kreis Esslingen) die 110 wählt, landet jetzt schon in Reutlingen. Diese Zentrale soll aber sogar einen weiteren Landkreis dazubekommen – mit Zuständigkeit bis nach Albstadt (Zollernalbkreis). Voraussichtlich 2020 teilen sich dann die Bewohner aus vier Landkreisen eine Zentrale – auch Ruheständler Stumpf wäre an seinem Wohnort im Kreis Tübingen betroffen. Im Sommer dieses Jahres soll das neue Lagezentrum in Reutlingen für elf Millionen Euro in Betrieb gehen.

Doch sind auch genügend Streifen unterwegs?

Dem Bürger kann der Standort einer Polizeizentrale egal sein – solange er schnell durchkommt und eine Polizeistreife rasch am Tatort ist. Doch vielleicht war es ja auch nur Zufall, dass ein bekannter Stuttgarter Musikmanager letztes Jahr vergebens die 110 wählte. Am Nachbarhaus hatte ein Alarmmelder losgeheult. Doch bei der Polizei war alles belegt. Nach neun Minuten legte er auf. Den Tag weiß er nicht mehr, der Fall lässt sich so nicht mehr klären.

Kein Anschluss unter dieser Nummer? Klar ist: Die neuen Super-Zentralen haben viele Leitungen, aber nur neun Regisseure gleichzeitig. Und sie können auch ein wichtiges Problem nicht lösen: dass zu wenig Personal auf Streife verfügbar ist. Das wäre für die Politik fatal, wenn die Polizei – wie die Notfallrettung – verbindliche Hilfsfristen hätte. Doch Betroffene bei Blechschadenunfällen oder Ladendiebstählen müssen oft lange auf eine Streife warten – ohne dass dies auch so protokolliert wird. Die Stoppuhr läuft erst, wenn die Zentrale ein Streife gefunden und beauftragt hat. Die Zeit davor – vom Anruf bis zur Disposition – fällt unter den Tisch. Der Effekt: So stimmen die Einsatzzeiten auf dem Papier, aber nicht auf der Straße. „An diesem Prinzip hat sich nichts geändert“, sagt Stuttgarts Leitstellenchef Rüdiger John, „das wird künftig auch im ganzen Land so praktiziert.“

Alarmruf aus dem Polizeipräsidium

Am größten ist der Personalnotstand offenbar beim Polizeipräsidium Aalen – zuständig für den Rems-Murr-Kreis, die Ostalb und Schwäbisch Hall. „Bundesweit ist Baden-Württemberg bei der Polizeidichte Schlusslicht“, sagt der Bezirksvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Manfred Ripberger, „und Aalen wiederum ist das Schlusslicht beim Schlusslicht.“ Selbst wenn das Präsidium noch 150 Beamte dazubekäme, utopisch genug, „wären wir immer noch im letzten Drittel“, so Ripberger.

Mit viel Improvisationskunst habe man brenzlige Lagen so bewältigt, „dass es keine negativen Auswirkungen gab“, sagt Ripberger. Fellbach habe das Glück der Nachbarschaft zu Stuttgart – aber auf großen Flächen um Crailsheim sei eine Streife mutterseelenallein. Wenigstens steht nun fest, dass die provisorische Leitzentrale in Waiblingen aufgegeben und in Aalen neu aufgebaut wird – wie schon 2014 geplant. Der Neubau für 8,6 Millionen Euro startet nun erst im Frühjahr. Aber 2020 soll alles besser werden – vielleicht auch die Personaldecke.

Land steckt Million um Million in die Zentralen

Das Land steckt Millionen in neue Zentralen – auch in Ludwigsburg. Der Neubau für 6,5 Millionen Euro lässt aber noch auf sich warten. Was eigentlich im Sommer 2017 starten sollte, ist nun aufs zweite Halbjahr 2018 verschoben. Damit ist die Ära der Super-Zentralen aber nicht abgeschlossen. Weil Innenminister Thomas Strobl (CDU) die Reform seines Vorgängers Reinhold Gall (SPD) reformierte, gibt es bald zwei neue Polizeipräsidien – und damit zwei neue Großleitstellen. „Im Rahmen der Strukturreform“, sagt Renato Gigliotti vom Innenministerium, „kommen noch Pforzheim und Ravensburg dazu.“