Der kleine Transport-Roboter Gita folgt seinen Besitzern wie ein unaufdringlicher Hund. Und er ist – fast schon revolutionär – völlig Offline. Im Herbst soll er in Europa auf den Markt kommen.

Stuttgart - Der kniehohe, wetterfeste Transportroboter Gita sieht aus wie ein knuffiges Tier mit Schlappohren und Schnauze. Er wiegt 23 Kilo und trägt auf seinen zwei Rädern bis zu 18 Kilo Last. Wie ein unaufdringlicher Hund folgt er seinen Besitzern, die er an Silhouette und Gangart erkennt. 360-Grad-Kameras und Sensoren befähigen Gita, sich unfallfrei durch die Stadt zu bewegen. Bis zu zehn Kilometer pro Stunde schafft Gita, je schneller die Besitzer gehen, desto mehr Sicherheitsabstand lässt er. Nach vier Stunden muss er an die Steckdose.

 

Der US-Architekt, Voraus- und Querdenker Greg Lynn hat Gita mit erschaffen für den italienischen Vespa-Hersteller Piaggio. In den USA ist Gita schon zu haben, in Europa soll es in diesem Herbst so weit sein, wenn die Politik zustimmt – Transportroboter müssen als Verkehrsmittel erst definiert werden. Sie passen in die Zeit: Seit infolge der Corona-Pandemie mehr Menschen radfahren, laufen und rollern, mehren sich Forderungen, Fortbewegung in den ganz auf Autos ausgerichteten Städten neu zu denken .

Gita sammelt keine Daten

Gita hat gute Chancen, zugelassen zu werden, denn er ist aufs Wesentliche reduziert: „Niemand kann sehen, was der Roboter sieht, seine Augen dienen nur dazu, seinen Besitzer zu erkennen. Wir haben nicht mal GPS an Bord“, sagte Greg Lynn Ende 2019 als Redner beim Ludwigsburger Kongress Raumwelten. Der Stuttgarter Architekt Tobias Wallisser, einst Meisterschüler Lynns und heute selbst Professor, hatte ihn eingeladen. Gegen den Trend ist Gita also Offline, er kommuniziert weder mit Menschen noch mit dem Kühlschrank, der an fehlende Milch erinnert, er zeichnet keine Daten auf und lässt sich nicht hacken. Im Zeitalter der Datenkraken mutet das fast schon revolutionär an.

Gitas Name heißt auf Italienisch „kurzer Ausflug“. „In Los Angeles liegen 70 Prozent der Autofahrstrecken unter drei Meilen“, sagt Lynn. „Dabei geben in Umfragen viele an, sie würden lieber laufen, wenn sie nichts tragen müssten. Jetzt zeigt sich: Mit Gita gehen die Leute zu Fuß nicht nur einkaufen, sondern auch zum Picknick.“

Erfinder Lynn ist eine Art Universalgenie

Mit einem Einstiegspreis von 3250 Dollar (rund 3000 Euro) ist Gita nicht gerade günstig. „Solange die Stückzahlen klein sind, ist das kaum billiger zu machen“, sagt Lynn. „Unsere Erstkundschaft sind auch weniger Normalbürger als junge ,early adopters‘, Leute, die neue Technologien gerne früh ausprobieren und sich das leisten können.“

Lynn ist eine Art Universalgenie. Ende der 90er revolutionierte er die Architektur mit seinen Thesen zur „Blob Architecture“ („Tropfen-Architektur“), die auf organisch fließende Gebäudeformen setzt und am Computer entworfen wird. 2005 designte Lynn für Vitra den mondänen Stuhl „Ravioli Chair“, 2008 bekam er den Goldenen Löwen der Architekturbiennale in Venedig für seine „Recycled Toys Furniture“ – Möbel aus recycelten Kunststoff-Spielzeugen, darunter einen Glastisch mit einem Sockel aus kunstvoll ineinander verschmolzenen gelben Gummienten.

Naht das Ende der Gedankenfreiheit?

Lynn hat auch eine schnittige Karbon-Jacht mit zwei Katamaran-Auslegern erfunden, ein eiförmiges, drehbares Mini-Haus, den auf Bluetooth basierenden Lieferservice „Curbside“ und spezielle Aufwärmumgebungen für Profisportler wie den Basketballstar LeBron James. Beim Google-Konkurrenten Trimble experimentierte Lynn mit Augmented Reality (Erweiterter Realität): „Wir haben Brillen entwickelt, die Pläne virtuell anzeigen und Zeichnungen und Tablets auf Baustellen ersetzen sollten“, sagt er. „Wir kamen so weit, dass die Brille Hirnströme auslesen konnte. Sie erkannte, wenn Autofahrer müde wurden, sie ließ Menschen telekinetisch eine Drohne steuern. Wir konnten Stimmungen ablesen, Gefühle. Wir wussten, was sie wollen – und auch, was sie wollen würden, ohne es selbst schon zu ahnen.“

Das wäre wohl das Ende der Gedankenfreiheit und lässt Gita noch stärker als Gegenentwurf erscheinen. Dabei stand am Anfang eine ganz andere Idee: „Wir wollten erst eine autonom fahrende Vespa konstruieren, die Pizza ausliefert“, sagt Lynn. „Aber dann haben wir gemerkt: Das ist der falsche Ansatz, denn Vespa steht ja dafür, Freunde zu treffen. Außerdem wollten wir die Pizzaboten nicht arbeitslos machen. Stattdessen haben wir nun versucht, einen Roboter zu entwickeln, der in uns den Wunsch weckt, mehr Mensch zu sein.“