Alle reden vom Stadtpalais – wir auch. Und das hat gute Gründe, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Stuttgart hat einen neuen Lieblingsplatz. Er befindet sich nicht irgendwo oben am Kesselrand, auf einem der Hügel, die Killesberg, Monte Scherbelino, Frauenkopf, Bopser oder Karlshöhe heißen, und von wo aus sich bekannt großartige Ausblicke bieten. Nein, er liegt mitten im Kessel, direkt neben dem Charlottenplatz, einem der verschlungensten Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Die Rede ist vom Stadtpalais, das lange Wilhelmspalais hieß, Wohnsitz des letzten württembergischen Königs Wilhelm II. war, im Krieg zerstört und wieder aufgebaut wurde, seit April das Stadtmuseum beherbergt und, wie es scheint, seine Bestimmung gefunden hat: als Ort, an dem Stuttgart präsent ist.

 

Alle reden plötzlich vom Stadtpalais. Das hängt damit zusammen, wie der junge Leiter des Museums, Torben Giese, das Gebäude interpretiert. Ein „Museum für alle“ soll es sein mit einem großen Spektrum an Sonderschauen – von „Skateboarding Stuttgart“ bis zur Würdigung von Alt-OB Manfred Rommel. Nach fünf Monaten Betrieb zeigt sich: Viele Besucher fühlen sich davon angesprochen. Freunde der Stadtgeschichte ebenso wie Leute, die auf der Suche nach neuen Eindrücken sind. Die Irritation derjenigen, die von einem „Museum für alle“ erwarten, dass es auch alles ausstellt, dürfte noch einige Zeit anhalten. Deshalb war die Entscheidung der Kommunalpolitik trotzdem richtig, im „Museum für Stuttgart“ außer der Vergangenheit auch die Gegenwart und die Zukunft aufzurufen. Zu einem Lieblingsplatz wird das Stadtpalais jedoch erst durch das, was derzeit rund um das Museum herum passiert: das Sommerfestival „Stadt am Meer“. Eine Inszenierung von Lebensgefühl, die begeistert angenommen wird. Hunderte Besucher genießen die Sommerabende in der kreativ gezimmerten Chillout-Zone – einschließlich des Sonnenuntergangs an der B 14. Dazu passte jüngst die Premiere des Films „Willkommen in der Mutterstadt“. Eine Dokumentation über die Entstehung der Stuttgarter Hip-Hop-Szene, produziert von Redakteuren unserer Zeitung. Stadtgeschichte darf auch Spaß machen.

Was folgt auf die Magie des Sommers 2018?

Wie selbstverständlich funktioniert das Stadtpalais als Treffpunkt. Giese und sein Team profitieren hier von der Vorarbeit der Wagenhallen-Betreiber, die dem alten Wilhemspalais in der Phase der Zwischennutzung Flair und Anziehungskraft verliehen haben. Die spannende Frage wird sein, was nach der „Magie des Sommers“ (Giese) folgt, wenn sich das Geschehen im Herbst und Winter naturgemäß nach innen verlagert. Es zeigt sich jedenfalls, dass Kultureinrichtungen einiges aus sich heraus bewegen können – unabhängig von äußeren Widrigkeiten, wie der in Stuttgart fast allgegenwärtigen Baustellensituation. Warum sollte beispielsweise an den Wasserbecken zwischen Staatsgalerie und Haus der Geschichte nicht öfter möglich sein, was am Stadtpalais oder am Eckensee mit Ballett und Oper im Park souverän gelingt: Menschen einzuladen.

Viel ist in Stuttgart von Aufbruch die Rede. Eine besondere Aufbruchstimmung geht dabei von diesem offenen Haus aus. Das wird hoffentlich ausstrahlen – etwa über den Charlottenplatz hinweg in Richtung altes Waisenhaus, in dem sich das Institut für Auslandsbeziehungen versteckt. Aber auch entlang der B 14.

Entspannter Blick auf die Stadtautobahn – bis sie untertunnelt ist

In direkter Nachbarschaft nimmt ein weiterer potenzieller Lieblingsplatz Formen an – die große Freitreppe am Neubau der Württembergischen Landesbibliothek. Von dieser übergreifenden Tribünenlandschaft aus können die Stuttgarter dann entspannt über die Stadtautobahn hinwegsehen – bis sie untertunnelt ist.

jan.sellner@stzn.de