Künstler der freien Szene haben unweit der S-21-Baustelle am Bahnhof den ehemaligen Projektraum Lotte übernommen. Dort wollen sie sich kreativ stärken, bis die neue Spielstätte beim Theaterhaus fertig ist.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Das Haus, das einmal am Pragsattel eine neue Heimat für Eric Gauthier sowie die Tanz- und Theaterschaffenden der freien Szene bieten soll, steckt mitten in der Planungsphase. Es wird also noch ein paar Jahre dauern, bis in diesem rund vierzig Millionen Euro teuren Erweiterungsbau des Stuttgarter Theaterhauses die ersten Aufführungen über die Bühne gehen können. Zeit, die den Künstlern wichtig ist und die sie für die gemeinsame Sache nicht ungenutzt verstreichen lassen wollen. Deshalb haben die drei Vereine, welche die freie Szene in Stuttgart vertreten, nun den Projektraum Lotte in der Willy-Brandt-Straße 18 übernommen. Dort wollen sie mit Beginn der kommenden Spielzeit an einem Strang ziehen, wie sie es bereits im ehemaligen Theater im Depot im Osten erprobt haben.

 

Mitten in der Stadt

Mit einem großen Unterschied allerdings: Der Projektraum Lotte bietet nur wenig Platz. „Ja, Lotte ist klein, aber der Ort liegt mitten in der Stadt“, erklärt Isabell Ohst vom Produktionszentrum für Tanz und Performance die Motivation der Künstler. „Aber wir wollen zeigen: Hier findet etwas statt!“ So kann man das am Rand der Kulturmeile und der Stuttgart-21-Buddeleien platzierte Projekt auch als Schaufenster für das verstehen, was die Künstler der freien Szene auf die vielen unterschiedlichen Bühnen in der Stadt bringen.

„Wir haben Glück gehabt, dass der Verein, der Lotte bisher betrieben hat, aufhören wollte und einen Nachfolger gesucht hat“, sagt Isabell Ohst. Der Name Lotte stand als Abkürzung für „Land Of The Temporary Eternity“ – und dieses Land der begrenzten Ewigkeit, das seit Juni 2012 mit interdisziplinären Performances, Workshops und anderen Ereignissen junge Künstler, Philosophen und Wissenschaftler angesprochen hatte, war von seinen Machern von Beginn an auf eine Laufzeit von fünf Jahren begrenzt gewesen.

Volle Bürgersteige vor den Fenstern

Obwohl auch die freie Szene den neuen Ort nur für eine bestimmte Zeit nutzen will, nämlich bis zum Umzug in die Räume auf dem Pragsattel, heißt er nun nicht mehr Lotte, sondern etwas weniger griffig Projektraum Freie Szene. Erhalten werden soll allerdings die hier in fünf Jahren gepflegte Experimentierfreude. Tanzfreunde werden sich zum Beispiel an das Projekt „Slam“ erinnern, mit dem der Choreograf Louis Stiens und sein Tänzerkollege Robert Robinson gemeinsam mit zwei Architekten und einem Lichtkünstler im Sommer 2013 den Projektraum Lotte jenseits der gewohnten Ballettbühnen bespielten und an sechs Abenden für volle Bürgersteige vor den Fenstern sorgten.

„Hier muss man innovativ bleiben“, sagt Isabell Ohst und lädt alle Künstler der freien Szene ein, mit kreativen Ideen für diesen Raum auf die im März neu gegründete Vertretung zuzukommen. Das ist die gemeinnützige Unternehmergesellschaft Freie Tanz- und Theaterszene Stuttgart, die später auch die Spielstätte und Proberäume auf dem Pragsattel betreiben soll. Außer dem Produktionszentrum sind der Verein Freie Theater Stuttgart und der Verein freier darstellender Künstlerinnen und Künstler für Stuttgart und die Region in dieser Gesellschaft vertreten.

Die Stadt unterstützt das Projekt 2019 mit 62 000 Euro

Workshops, ein Jour fixe der freien Szene, aber auch kleine Stücke und Performances können sich Isabell Ohst und die Repräsentanten der beiden anderen Vereine, Laura Oppenhäuser und Bernhard Eusterschulte, im neuen Projektraum vorstellen. „Vierzig Zuschauer finden hier Platz, aber wie zu Zeiten von Lotte oft praktiziert, kann man auch durch die Schaufenster zusehen“, sagt Isabell Ohst und freut sich auf bewegte Zeiten im ehemaligen Elektro-Second-Hand-Laden.

Die Verortung der Künstler in der Stadt, aber auch ihre Vernetzung im Land soll nicht nur der Projektraum selbst, sondern zusätzlich eine neue, mit ihm verbundene Personalstelle voranbringen, die nun ausgeschrieben wurde. Bewilligt wurde von der Stadt Stuttgart für dieses Vorhaben für das laufende Jahr 31 000 Euro und für 2019 die doppelte Summe. „Natürlich wäre es schön, wenn das neue Tanzhaus auf dem Pragsattel schon bald den Betrieb aufnehmen würde und alle Büros der beteiligten Vereine an einem Ort vereint wären“, sagt Isabell Ohst. Bis es aber soweit ist, will die freie Szene nicht jammern, sondern mit einer „neuen Sichtbarkeit“, wie Isabell Ohst sagt, „das beste aus der Situation machen“. Kreativ gestärkt, so die Hoffnung, soll die freie Szene dann aus dem Kessel in die neue Spielstätte hinaufsteigen.