Kulturhauptstadt war gestern. Auch nach drei Jahrzehnten steckt Götz George als Schimanski in Duisburg noch sein Revier ab.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)
Duisburg - Europäische Kulturhauptstadt war gestern. Der Pott ist wieder abgeschminkt. Gut gehalten hat die Make-up-Maskerade eh nicht, dafür haben die Städte hier einfach zu viele Falten. Die Wunden können nicht zugehen, unterm Drecksverband. Und doch hat sich was geändert in der letzten Zeit, worauf ein alter Informant den längst pensionierten ehemaligen Kommissar Schimanski im Sonntagjubiläumskrimi "Schuld und Sühne" aufmerksam macht. Als Schimmi gewohnheitsmäßig an der Tischkante den Kronkorken vom Hals der Bierflasche hebeln will (Pils oder nicht Pils ist für Schimanski nie die Frage), sagt sein Gegenüber: "Musse nich, Horst, is'n Drehverschluss". Der Schauspieler Götz George kriegt daraufhin diesen quasi jenseitigen Ausdruck - halb Echsenaugen, halb Papa Georges stieren Blick - der mit "Ja, da versteh ich die Welt nicht mehr..." nur ansatzweise zu beschreiben ist.

Vor knapp dreißig Jahren, als Horst Schimanski - damals wie heute in Duisburg-Ruhrort -, zum ersten Mal als neuer Revierkommissar antrat, war das nationale Unverständnis - jedenfalls in fast ganz Nordrhein-Westfalen - mindestens genau so groß. Hatten die bei der Polizei nicht immer einen Netten gehabt - also soweit und früher?

Der Vorgänger war Kopfarbeiter


Schimanskis Vorgänger kam aus Essen. Er hieß Heinz Haferkamp, gespielt von Hansjörg Felmy. Es gab noch Zechen damals, und sie hießen Fortuna, auch wenn das Glück eigentlich immer ganz weit weg war. In Haferkamps Büro stand ein Nachkriegsradio, groß und breit, da war Deutschland schon drin Fußballweltmeister geworden, und bereits Mitte der siebziger Jahre schien der behördliche Papierkrieg einer, den keiner gewinnen konnte. Haferkamp ernährte sich von Frikadellen (über deren Beschaffenheit er regelrecht philosophisch werden konnte), Kaffee, Altbier (auch im Dienst und aus der Flasche) und Roth-Händle. Abends hörte er Miles Davis. Wenn er nicht weiterkam mit seinen Ermittlungen, ging er mit Ingrid aus, das war seine Exfrau. Haferkamp musste nicht durch Wände. Er arbeitete mit dem Kopf.

Als Haferkamp ging, hatte Felmy ein kleines Kunststück vollbracht: man mochte ihn, obwohl man nicht wusste, wer er war. Damit sofort klar würde, dass es das Publikum mit einem wirklich anderen ganz anderen Typen zu tun bekommen sollte, ließ der Münchner (!) Regisseur Hajo Gies vor drei Jahrzehnten Horst Schimanski zuallererst im männlichen Urzustand auftreten, zumindest fast. Götz George trug einen Minislip, den man damals, Anfang der Achtziger, dem Mode- und Popmusikunjahrzehnt, für eine Unterhose hielt. Er war schwer verkatert, fand keine auch nur einigermaßen saubere Pfanne und entschied sich zwangsläufig für zwei Eier im Glas: roh, versteht sich. Zum Dienst ging er in Sweatshirt und leicht paramilitärischer Sportjacke, ein Outfit, das bis heute nicht gewechselt hat. Später durfte man sich aus diversen Folgen ein wenig Biografie zusammenreimen. Geboren in Breslau, aufgewachsen in Duisburg, vaterlose Kindheit, Schweißerlehre und Kleingangsterkarriere. Dann Bekanntschaft mit Kriminaloberrat Karl Königsberg und Polizeischule. Zum Anfang von "Schuld und Sühne" sieht man Horst Schimanski, wie bildlich oft, am Boden und hört ihn resümieren: "Hab Automaten geknackt. Dann bin ich auf die andere Seite..."