Der neue Coach verlangt harte Arbeit und eine Menge Disziplin von den Stuttgarter Bundesliga-Volleyballerinnen – auch weil er den Anspruch an sich selbst hat, am Ende nicht Dritter zu werden.

Stuttgart - Wer mehr als zwei Jahrzehnte erfolgreich als Volleyballtrainer arbeitet, dem eilt ein Ruf voraus. Zwangsläufig. Weil in der Szene, die ja ziemlich überschaubar ist, ständig gesprochen, geplaudert und getratscht wird. Natürlich auch über Gerüchte und Halbwahrheiten. Tore Aleksandersen (52) hat das Image, ein harter Hund zu sein. Einer, der enorm viel fordert, vor allem Arbeit und Disziplin, der sagt, was er denkt, manchmal auch in rauem Ton. Wer den neuen Coach von Frauen-Bundesligist Allianz MTV Stuttgart fragt, ob er sich in dem Bild, das von ihm gezeichnet wird, wiedererkennt, erhält als Antwort ein Lächeln. Und den Satz: „Es ist nicht so falsch – aber ich bin Jahr für Jahr ein bisschen milder geworden.“

 

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Zu lieb, nett und unverbindlich darf der Norweger aber auch nicht sein. Zumindest, wenn er der Jobbeschreibung von Allianz MTV Stuttgart entsprechen will. Schließlich hat ihn der ehrgeizige Verein vor einem Monat auch deshalb verpflichtet, weil er nicht nur erfahren ist, sondern auch eine starke Persönlichkeit, die genau weiß, was getan werden muss, um erfolgreich zu sein. „Wir haben bewusst nach einem anderen Trainertyp gesucht“, sagt Sportdirektorin Kim Renkema, „wir brauchten einen, der die Mannschaft aus der Komfortzone holt.“

Kontakt zum Vorgänger gab es nicht – ganz bewusst

Tore Aleksandersen ist der Nachfolger von Giannis Athanasopoulos. Der Grieche, der 2019 mit dem MTV erstmals Meister wurde, warf Ende November nach dreieinhalb Jahren als Cheftrainer hin, nachdem er nach der 1:3-Pleite im Pokalhalbfinale von Geschäftsführer Aurel Irion öffentlich kritisiert worden war – auch dafür, zu viele entscheidende Spiele verloren zu haben. Ganz bewusst hat Aleksandersen keinen Kontakt zu Athanasopoulos gesucht, er wollte an die Aufgabe in Stuttgart unbelastet herangehen, eigene Eindrücke sammeln, sich selbst eine Meinung bilden. Bis jetzt kann er nur Positives berichten. „Ich bin in einem hervorragenden Verein, in dem sehr professionell gearbeitet wird“, sagt der Norweger, dessen Vertrag bis Saisonende läuft, „das Team verfügt über eine hohe individuelle Qualität, es gibt keine richtige Schwäche.“ Aber trotzdem einiges zu verbessern.

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Unter dem neuen Coach Aleksandersen wird in Stuttgart mehr trainiert als früher, die Einheiten in der Scharrena dauern nun wesentlich länger. „Für ihn ist jedes Detail wichtig, und er steht gerne in der Halle“, sagt Kim Renkema über Aleksandersen, „mittlerweile haben sich die Mädels an seinen Stil gewöhnt.“ Der neue Coach ist ein Freund schneller Angriffssysteme, die allerdings hohes technisches Können erfordern. „Ich achte auf jede Kleinigkeit, die Technik entscheidet über die Taktik“, erklärt Aleksandersen, „aber grundsätzlich arbeiten wir hart daran, uns in allen Bereichen zu verbessern. Die Spielerinnen sind sehr diszipliniert, ziehen voll mit.“ Immer mit einem Ziel vor Augen.

Das Pokalfinale ist verpasst, in der Champions League wird es aufgrund der Klasse der drei Gruppengegner kaum möglich sein, erneut ins Viertelfinale einzuziehen. Bleibt die Meisterschaft. Der Verein strebt die Titelverteidigung an, was zum Anspruch seines Trainers passt. „Ich bin nicht nach Stuttgart gekommen, um am Ende Dritter zu werden“, sagt Aleksandersen, „die Mannschaft ist gut genug, um die Schale holen zu können. Aber dafür müssen wir auch trainieren wie ein Meister.“ Und punkten.

Eine Reise in die Vergangenheit

Alle beim Spitzenreiter wissen, wie wichtig Platz eins in der Bundesliga ist. Weil niemand abschätzen kann, wie sich die Corona-Krise in dieser Saison auswirkt. Und weil diese Position, sollten die Play-offs wie geplant gespielt werden, das Heimrecht in entscheidenden Duellen garantiert – das auch ohne Zuschauer hilfreich sein kann. Und angenehm sowieso. Für Aleksandersen ist deshalb klar: „Für uns ist wichtig, jedes Spiel zu gewinnen.“ Erst recht in Schwerin.

An diesem Donnerstag (20.30 Uhr/Sport 1 live) geht es zum Dauerkonkurrenten, der mit einem klaren Erfolg in der Tabelle wieder auf Augenhöhe wäre. Zugleich ist es für Aleksandersen, der vor der Corona-Auszeit Coach bei Nilüfer Belediyespor (Türkei) war, eine Reise in die Vergangenheit. Von 2003 bis 2008 und noch einmal in der Saison 2010/11 trainierte er den SSC Schwerin, holte mit dem Club zwei Meisterschaften und zwei Pokalsiege. Er denkt gerne zurück an diese Zeit, nicht nur weil sein Sohn Sebastian (13) in Schwerin geboren ist. Auch er selbst hat dort Spuren hinterlassen. „Wir haben ihn in bester Erinnerung – als akribischen Arbeiter, der viel vom Volleyball versteht und mit dem man auch großen Spaß haben kann“, erklärt Michael Evers, seit mehr als zwei Jahrzehnten der Macher beim SSC Schwerin, „Gratulation nach Stuttgart: Das war ein sehr guter Fang.“ Auch diese Aussage zählt zum Ruf, den sich Tore Aleksandersen in seiner Zeit als Trainer erarbeitet hat.