Mondo Sangue sind die Erfinder der fiktiven Soundtracks. Nach Kannibalen- und Westernfilmen widmen sie sich nun dem Sound der Zukunft. Klingt der heute überhaupt anders als früher?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Die Zukunft kommt gerade wieder ziemlich in Mode – vielleicht, weil es nach der bleiernen Corona-Zeit nur besser kommen kann? Zumindest zur gedanklichen Flucht eignet sich Science-Fiction so gut wie damals in den 1960ern, als der Wettlauf zum Mond in vollem Gange war und entsprechende Weltraumfilme und -serien mit geradezu visionärer Musik unterlegt wurden.

 

Nach der Band Los Santos huldigt mit dem Duo Mondo Sangue dieses Jahr nun schon die zweite Stuttgarter Musikcombo dem Sound dieser Zeit. Die Sängerin Yvy Pop und der Soundtrack-Macher Christian Bluthardt sind dafür bestens geeignet, schließlich haben sie davor schon Scores zu fiktiven Kannibalen- und Westernfilmen eingespielt – und damit gewissermaßen ein neues Genre geschaffen. Der intellektuelle Spaß ist auf ihrem Ende Oktober erscheinenden Album „Vega 5 (Avventure nel Cosmo)“ derselbe wie bei den Vorgängeralben: Die beiden Musiker greifen das kulturelle Echo auf, das die Filme und Soundtracks hinterlassen haben; sie spielen mit den Bildern, die bestimmte Klänge im Kopf erzeugen.

Was bei den Vorgängeralben Dschungelambiente und knochentrockene Psychedelicgitarren waren, leisten jetzt pluckernde Protosynthesizer und stoische Schlagzeugmaschinen. Wer sich bei der Imagination trotzdem schwer tut, dem helfen die sprechenden, oft zweisprachige Songtitel, etwa „reptiles! insects! giant beasts! / attacco degli androidi“.

Interview im Hallraum

Will man die beiden Musiker zu ihrer neuen Platte befragen, hängt man zunächst im ganz irdischen Hallraum eines Videokonferenztools. Christian Bluthardt und Yvy Pop nehmen es aber mit Humor. Schließlich klappt auch bei der „Star Trek“-Crew nicht alles auf Anhieb. Recht schnell gelangt man dann zur Frage, warum es diesmal ein Weltraum-Soundtrack werden sollte. Bluthardt erzählt dann vom US-Film „Flucht ins 23. Jahrhundert“ („Logan’s Run“), der seine Begeisterung geweckt habe.

„Wir haben aus einem wahnsinnig breiten Spektrum dann die Sachen rausgepflückt, mit denen wir selbst groß geworden sind“, erzählt Yvy Pop. Inhaltlich geht die Reise quer durch den Weltraum, zu unsichtbaren Planeten oder schwarzen Löchern. Musikalisch gelangen die Hörer von den restoptimistischen 1960ern bis in die technoiden 1980er.

Die Musik erzeugt Bilder und Emotionen, hofft Yvy Pop – eine Art popkulturelles Echo, das auf gemeinsame Seh- und Hörerfahrungen einer ganzen Generation verweist. Wobei sich nicht nur Freaks auf die Suche nach konkreten Referenzen auf einzelne Filme oder Soundtracks begeben müssen. „Diese Musik soll auch beim Spazierengehen funktionieren“, sagt Christian Bluthardt.

Duett mit Bela B.

Breitere Hörerschichten holt gewiss das Duett „Space Cowboy“ mit dem Ärzte-Mitglied Bela B. ab. Außerdem habe man diesmal mehr versucht, echte Songs zu schreiben, sagen Mondo Sangue. Dieses Prinzip und auch die musikalische Entwicklung innerhalb des Albums entspreche vielleicht eher der Serienidee als einem in sich geschlossenen, neunzigminütigen Film.

Überhaupt habe man längst Live-Performances geplant – die jetzt durch Corona verunmöglicht werden. „Wenn man mal wieder rausdarf, werden wir auch auf einer Bühne etwas darbieten“, sagen die beiden Musiker. Vorerst ist aber nur eine Art Release-Event ohne Livemusik möglich. Im Rahmen der „Dragon Days“ wird die Platte am Stuttgarter Hafen an „Friedas Pier“ zu hören sein, außerdem gibt es eine Retro-Lichtshow im Stile der 1960er Jahre. Regulär erscheint die Platte am 30. Oktober beim Stuttgarter Label Allscore Media – die ersten 100 Stück enthalten, und das ist kein Witz, jeweils einen über einen uruguayischen Händler bezogenen Meteoritensplitter.

Mondo Sangue verorten ihren Soundtrack übrigens augenzwinkernd im Jahr 2022 – eine zumindest aus heutiger Sicht nicht ganz so ferne Zukunft. Dass einem in diesen kurzatmigen Corona-Wochen selbst das übernächste Jahr ziemlich weit weg vorkommen würde, konnten die beiden beim Aufnehmen nicht wissen. Es spielt ihnen trotzdem in die Karten. Mag sein, dass zwischen gewesener und naher Zukunft der eine oder andere Hörer etwas durcheinander kommt. Für die Idee hinter dem Projekt Mondo Sangue könnte es kein größerer Gewinn sein. Wenn ein Album im Wortsinn zeitlos ist, dann dieses.