Um Haaresbreite ist Österreich an einem FPÖ-Bundespräsidenten vorbeigeschrammt. Grund genug, zu dem Buch eines Mannes zu greifen, der seinen Landsleuten immer wieder den Spiegel vorhielt: Georg Kreislers „Doch gefunden hat man mich nicht“.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Von Andreas Vitásek gibt es eine Nummer, in der er schildert, wie es ist, wenn ihn seine österreichischen Landsleute nur als Spaßmacher sehen: „Do is jo der Lustige! Lustiger! Moch amol an Witz!“ Ein Schicksal, das der Kabarettist bestimmt mit vielen Kollegen teilt. Nicht zuletzt mit Georg Kreisler, dessen galliger Charme („Tauben vergiften“, „Sport ist gesund“) über die Jahrzehnte kein bisschen Staub angesetzt hat.

 

Doch das verdeckt freilich etwas die Tatsache, dass Kreisler ein Autor und Musiker von hohem Rang war. Beides beherrschte virtuos, mochte er auch damit kokettieren, dass dem gar nicht so sei. Nicht zu vergessen: Sein kritischer Blick auf die Menschen und die Verhältnisse in seinem Geburtsland Österreich hat nichts von seiner Aktualität verloren, wie die 2014 erschienene Textsammlung „Doch gefunden hat man mich nicht“ beweist.

Gedemütigt, geschlagen, ermordet

Ein einfacher Mensch war er bestimmt nicht, dieser 1922 geborene Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts. Aber wenn man seine Erinnerungen liest, wird klar, wie sehr ihn die Jugend im „angeschlossenen“ Österreich geprägt hat. Wie die Nazis sich die „Ostmark“ einverleibten, wie alles plötzlich voll war mit Hakenkreuzfahnen (die tags zuvor noch streng verboten gewesen waren), wie die Angriffe auf Juden derartige Ausmaße annahmen, dass sogar die Reichsdeutschen über die Brutalität staunten, wie Juden gedemütigt, geschlagen und ermordet wurden, wie man ihnen in den Kaffeehäusern die Zungen an die Tische nagelte.

Auch wenn die historischen Tatsachen bekannt sind (oder zumindest bekannt sein sollten), ist es immer wieder erschütternd, Berichte von Naziopfern zu lesen. Dabei kam die Familie Kreisler noch vergleichsweise gut davon: weil ein menschenfreundlicher amerikanischer Konsulatsbeamter dem 16-jährigen Georg riet, doch auch gleich für seine Eltern einen Einreiseantrag zu stellen, kamen alle drei in die USA und mit dem Leben davon.

Bedrückende Aktualität

Andere Familien hatten bekanntlich weniger Glück – wenn sie denn überhaupt außer Landes kamen: weil die Briten einen Mangel an Putzfrauen hatten, kamen manche Frauen dort unter, während ihre Kinder und Männer über mehrere Länder verstreut wurden. Auch diese Schilderung der Flüchtlingsschicksale verleiht dem Buch eine bedrückende Aktualität.

Schofles Österreich

Georg Kreisler ging es in den USA recht gut, er lernte Arnold Schönberg und Charles Chaplin kennen und kam im Showbusiness unter – was er dort aufbaute, setzte er in den fünfziger Jahren im deutschsprachigen Europa fort. Allerdings ließ man ihn nie so hochkommen, wie er es verdient hätte, argwöhnisch nahm man seinen messerscharfen Witz zur Kenntnis, nie gab man ihm ein festes Engagement, offener und versteckter Antisemitismus begleitete ihn ein Leben lang. Und sein Geburtsland Österreich gratulierte ihm zwar alle fünf Jahre offiziell zum Geburtstag, hätte eine Wiedereinbürgerung aber an bürokratische und juristische Hürden gekoppelt, weshalb er sich diesen scheinheiligen Brauch irgendwann verbat.

Unglückliches Österreich, das so schofel mit einem seiner bemerkenswertesten Köpfe umging. Aber vielleicht hätte er sich ja über die Würdigungen von Sven Hartberger, Ilja Richter und Daniel Kehlmann gefreut, die das Buch über den 2011 gestorbenen Charakterkopf beschließen.

Georg Kreisler: Doch gefunden hat man mich nicht. Eine Gesamtschau. 416 Seiten, Atrium Verlag, 24,99 Euro