Kein Smalltalk, diesmal. Mit eindringlichen Worten zur Krise in der Außenpolitik hat der Diplomat Wolfgang Ischinger die Gäste beim Neujahrsempfang aufgeweckt.

Stuttgart - Diesmal ist alles anders. Die Bühne steht nicht mehr wie eine Art Boxring mit angebautem Laufsteg in der Mitte der Halle, sondern brav und bieder an der Seitenwand, und die Tische sind ordentlich davor aufgereiht. Auch das Programm ist völlig neu: Statt Infotainment im Talkshow-Stil gibt es einen Gastredner, den Juristen und Diplomaten Wolfgang Ischinger, der das Publikum mit schwerer Kost konfrontiert. „Aus den Fugen geraten – Die internationale Entwicklungen und ihre Folgen für die Wirtschaft“, so der Titel seiner Keynote.

 

Die beiden Messechefs Ulrich Kromer und Roland Bleinroth haben sich was getraut beim diesjährigen Neujahrsempfang, modisch abgekürzt „NJE“. Und die Rechnung ist aufgegangen. Beim Bühnenprogramm in den Vorjahren sei es jedes Mal so leise gewesen, „dass man eine Stecknadel fallen hören konnte“, weil das Publikum das Geschehen von der Bühne quasi „heruntergesaugt“ habe, hatte der Moderator Michael Antwerpes eingangs gefrotzelt. Dieses Jahr nun lautete das Motto: Weniger Show, mehr Inhalt. Und siehe da: Ischingers Rede folgte – mit Ausnahmen – ein konzentriertes und ruhiges Publikum. Was nun auch daran gelegen haben mag, dass der frühere deutsche Botschafter in Washington und London etwas kann, was vielen Politikern fehlt: komplexe Sachverhalte einfach und anschaulich darstellen.

Ischinger, seit 2008 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, sprach über nichts Geringeres als die Weltlage und malte ein düsteres Bild der aktuellen Situation. „Selbst in der Hochzeit des Kalten Krieges, in den 80er Jahren, wurde ständig miteinander verhandelt.“ Heute herrsche dagegen ein „derartiges abgrundtiefes gegenseitiges Misstrauen“ zwischen West und Ost, zwischen den Großmächten und denen, die es sein wollten, dass im Augenblick „nichts mehr läuft“. Mehr noch, an die Unternehmer im Saal gerichtet: „Wenn der amerikanische Präsident Donald Trump einen ganz besonders auf dem Kieker hat, dann sind es die Deutschen. Ziehen Sie sich warm an.“

Die Folge sei eine „Dreifachkrise“, die Ischinger mit einigen „Pinselstrichen“, wie er es nannte, skizzierte. Er sprach mit Blick auf China, die USA und Russland von einer „eklatanten Machtverschiebung“, hinzu komme in der Politik ein genereller Verlust von Wahrheit und Vertrauen sowie des staatlichen Gewaltmonopols. Dennoch sehe er nicht schwarz, betonte der 72-Jährige, sondern es gebe Wege aus der Krise. Ein Rückfall in den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts sei keine Lösung. „Das Rezept ist ein ganz einfaches. Wir brauchen eine stärkere EU, die mit einer Stimme spricht. Wir brauchen jemanden, der außenpolitisch auftreten kann, jemanden mit Mandat und Autorität.“

Harald Schmidt als Partygast

Bei aller Weltläufigkeit: Ischinger ist einer „von uns“, in Beuren geboren, in Nürtingen ins Gymnasium gegangen - in dasselbe wie der Entertainer Harald Schmidt. „Ich kannte ihn da aber nicht. Ich bin ja ein paar Jahre älter.“ Kennen gelernt haben sich die beiden in Washington, Ischinger war dort als Botschafter, Schmidt privat auf Reisen. „Ich hab ihn zu einer Party mit 100 Gästen eingeladen. Er hat die Amerikaner im besten Englisch stundenlang unglaublich witzig unterhalten. Und das Ganze hat mich keinen Pfennig gekostet.“

Apropos: Während die Messe bei der Pressekonferenz am Vormittag die offizielle Bilanz für 2018 vorgestellt hatte (Jahresergebnis 34 Millionen Euro vor Pacht und Steuern), ging es am Abend um anschaulichere Werte. Im Vorjahr wurden auf den Fildern 18 000 Maultaschen verspeist und 690 Kilometer Toilettenpapier verbraucht. Wie viel es allein beim Neujahrsempfang waren, wird Spekulation bleiben, aber Fakt ist: Der Event auf der Messe mit rund 1600 Gästen ist mit Abstand der Größte zum Jahresbeginn.

Auch dieses Jahr war viel (lokale) Prominenz dabei: Unternehmer wie Hans Peter Stihl, Politiker aus Bundes- und Landtag, Vertreter des Konsularischen ebenso wie des kulinarischen Korps der Landeshauptstadt, sogar Oberbürgermeister Fritz Kuhn und natürlich der scheidende Finanzbürgermeister und Messeaufsichtsratschef Michael Föll. Er vergieße keine Tränen, er habe spannende Jahre miterlebt, so Föll, der im März ins Kultusministerium von Susanne Eisenmann wechselt. Zur Bildungsmesse Didakta im März 2020 komme er wieder, versprach er. „Das ist für mich gesetzt. Da werde ich mich hier oben 24 Stunden einquartieren.“ Die Sehnsucht muss jetzt schon groß sein.