Dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank wird vorgeworfen, mit seiner Geldpolitik die Krisenländer in Südeuropa zu bevorteilen. Gesamtwirtschaftlich gesehen stimmt das – dennoch liefert eine Studie zu Gewinnern und Verlierern der Niedrigzinsen überraschende Ergebnisse.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ist in Deutschland äußerst unbeliebt. Sie schade den deutschen Sparern und nütze nur den hoch verschuldeten Südländern, lautet die weit verbreitete Kritik. Tatsächlich allerdings gehören zu den größten Verlierern der niedrigen Zinsen die italienischen Sparer. Das geht aus Berechnungen der Allianz hervor, die am Donnerstag veröffentlicht wurden.

 

Betreibt der italienische EZB-Präsident Mario Draghi also eine Politik zulasten seiner eigenen Landsleute? Das stimmt so natürlich auch wieder nicht ganz. Unternehmen und öffentliche Haushalte in Italien profitieren nämlich durchaus von den niedrigen Zinsen. Denn bekanntlich sitzt der italienische Staat auf einem gigantischen Schuldenberg – er ist um ein Drittel höher als die Wirtschaftsleistung des Landes. Und auch viele italienische Unternehmen steckten nach Finanz- und Eurokrise tief in den roten Zahlen. Für die italienischen Privathaushalte gilt das aber nicht. Ihre Schulden entsprechen laut Eurostat rund 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), kaum mehr als in Deutschland (54 Prozent). Der Rückgang der Kreditzinsen brachte den italienischen Verbrauchern daher vergleichsweise wenig. Gleichzeitig erlitten sie Einbußen durch schwindende Zinseinnahmen auf ihre Ersparnisse. Unter dem Strich sanken die Zinseinkommen der Privathaushalte in Italien zwischen 2008 und 2016 um 164 Milliarden Euro. In Deutschland waren es laut Allianz 96 Milliarden Euro.

Die Privathaushalte in Italien wirtschaften solide

Andere Studien kommen auf noch größere Einbußen. Das liegt daran, dass dort die aktuellen Zinseinnahmen mit den Erträgen verglichen werden, die bei einer Fortschreibung des Zinsniveaus aus Vorkrisenzeiten möglich wären. Auf derartige Modellrechnungen verzichtet die Allianz in ihrer aktuellen Untersuchung – für den Ländervergleich sind die Ergebnisse dennoch interessant.

Dass ausgerechnet die Zinseinkommen der italienischen Sparer so stark schrumpften, hängt den Experten zufolge mit dem Anlageverhalten zusammen: Italiener investieren traditionell besonders viel Geld in Anleihen. Weil diese wegen der EZB-Politik kaum noch Zinsen abwerfen, dafür aber umso höhere Verkaufspreise, reduzierten viele Kleinanleger ihre Bestände.

Vermutlich hat die EZB-Politik insgesamt Vorteile für die italienische Bevölkerung. Schließlich nützt die Entlastung der Unternehmen indirekt auch den Bürgern, die Arbeitslosenquote geht allmählich zurück. Unternehmen und Staat profitieren freilich auch hierzulande von den niedrigen Zinsen, die ihnen den Schuldendeinst erleichtern. Rechnet man die Folgen der EZB-Politik für Staat, Banken, Unternehmen und Privathaushalte zusammen, so gehört Deutschland zu den Gewinnern. Laut Allianz ist das Nettozinseinkommen der hiesigen Volkswirtschaft seit 2008 um drei Prozent gestiegen. Damit liegt Deutschland unter den neun betrachteten Staaten auf Platz fünf, direkt hinter Italien.

Staat und Unternehmen profitieren auch in Deutschland

Größter Nutznießer ist Spanien: Hier stieg das Nettozinseinkommen bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft seit 2008 um zwölf Prozent. In Spanien waren neben Unternehmen auch viele Privathaushalte nach dem Platzen einer Immobilienblase hoch verschuldet, die niedrigen Zinsen halfen beim Abbau der Verbindlichkeiten.

Zweitgrößter Gewinner sind ausgerechnet die Niederlande

Auf dem zweiten Platz im Gesamtranking steht kein Euro-Krisenstaat, sondern die Niederlande. Auch dort sind viele Bürger hoch verschuldet, weil die Aufnahme von Darlehen für den Hauskauf steuerlich subventioniert wird. Der Zinsrückgang hilft auch hier beim Schuldenabbau.

Einen volkswirtschaftlichen Schaden durch die Niedrigzinsen diagnostiziert die Allianz dagegen in Österreich, Finnland und Frankreich. In Österreich und Finnland sind die Staatsschulden nach der Finanzkrise so stark gestiegen, dass die Zinslast trotz der niedrigen Sätze zunahm. In Frankreich und Österreich schrumpften außerdem die Zinseinkommen der Privathaushalte. In Finnland leiden besonders die Banken: Ihre Nettozinseinkommen schrumpften noch stärker zusammen als bei anderen europäischen Instituten.