Die Notenbank will ihre umstrittenen Anleihekäufe wieder aufnehmen und monatlich 20 Milliarden Euro in die Märkte pumpen. Das Programm soll laufen, bis sich die Inflation der Zwei-Prozent-Marke nähert – und die ist noch lange nicht in Sicht.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Im Kampf gegen Konjunkturflaute und Mini-Inflation feuert die Europäische Zentralbank (EZB) aus allen Rohren: Ab November will die Notenbank wieder im großen Stil Staatsanleihen und andere Wertpapiere kaufen – und zwar auf unbegrenzte Zeit. Das Kaufprogramm werde „so lange wie nötig“ laufen, um den Effekt der niedrigen Leitzinsen zu unterstützen, teilte die Notenbank am Donnerstag mit. Gleichzeitig drückte sie ihre umstrittenen Minuszinsen noch tiefer in den roten Bereich. Zinserhöhungen soll es erst geben, wenn sich die Inflationsrate „nahe, aber unter zwei Prozent“ stabilisiert. Was die Notenbank in den nächsten zwei Jahren nicht erwartet: Nach ihrer Einschätzung wird die Teuerungsrate bis 2021 nur auf 1,5 Prozent steigen.

 

„Das Hauptsignal der heutigen Entscheidungen ist ein fatales: Die Wirtschaft und gesamte Gesellschaft im Euroraum müssen sich auf eine noch längere und noch tiefere Negativzinswelt einrichten“, kritisierte Sparkassenpräsident Helmut Schleweis. Erleichtert zeigte er sich indes darüber, dass die EZB Kreditinstituten, die Strafzinsen auf ihre Einlagen bei der Notenbank zahlen, einen höheren Freibetrag einräumen will. Zwar wurde der Negativzins von minus 0,4 Prozent auf minus 0,5 Prozent verschärft, dafür müssen ihn die Banken aber auf einen geringeren Teil ihrer Einlagen zahlen.

Draghi zeigt Verständnis für seine Kritiker

EZB-Präsident Mario Draghi äußerte Verständnis für die Kritik an den Niedrigzinsen. „Wir machen uns natürlich Gedanken um die Folgen für die Altersvorsorge“, sagte der 72-jährige Italiener, der Ende Oktober aus dem Amt scheidet. Anderseits würden aber auch Pensionsfonds und andere Anbieter von mehr Wirtschaftswachstum profitieren. Im zweiten Quartal hatte die Wirtschaftsleistung in der Eurozone nur noch um 0,2 Prozent zugelegt. In Deutschland sank das Bruttoinlandsprodukt in den Monaten März bis Juni sogar um 0,1 Prozent. Bei einem weiteren Rückgang im dritten Quartal läge nach einer gängigen Definition eine Rezession vor.

Draghi forderte, die Bundesregierung solle die gute Haushaltslage zur Stabilisierung der Konjunktur nutzen: „Das ist ein Fall für schnelles und effizientes Handeln der Fiskalpolitik“, sagte er auf Fragen zu den Rezessionssorgen im größten Eurostaat. Die Wahrscheinlichkeit eines Abschwungs in der gesamten Währungsunion halte die EZB für gering, „aber sie ist gestiegen“. Alle Regierungen mit haushaltspolitischen Spielräumen sollten daher etwas unternehmen, um die Konjunktur zu stützen, erklärte Draghi. Ob er dabei an Investitionsprogramme oder Steuersenkungen denkt, blieb offen. Konkrete politische Empfehlungen stünden der EZB nicht zu, sagte Draghi. Klar sei aber: Wenn die Regierungen schon etwas getan hätten, „müssten unsere Maßnahmen nicht so lang anhalten“.

Der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken bezweifelt, dass die EZB-Beschlüsse den gewünschten Erfolg bringen. „Weitere Zinsabsenkungen und erneute Anleihekäufe bringen der Wirtschaft keine fühlbaren Impulse mehr“, kritisierte Verbandspräsidentin Marija Kolak. Ähnlich äußerte sich der Chefvolkswirt des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft, Klaus Wiener. Er beklagte zudem, „dass die Anreize für Sparer, für das Alter vorzusorgen, schwer beschädigt werden“.

Protest der Bundesbank verhallt

Gegen neue Anleihekäufe hatten sich vor der Sitzung auch die beiden Deutschen im EZB-Rat, Bundesbankchef Jens Weidmann und EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger, ausgesprochen. Protest kam auch von den Notenbankchefs in den Niederlanden und Frankreich, Klaas Knot und François Villeroy de Galhau. Für die Wiederaufnahme der Käufe im Volumen von zunächst 20 Milliarden Euro monatlich gab es nach Draghis Worten aber „eine so klare Mehrheit, dass keine Abstimmung nötig war“.

Als kleines Trostpflaster für die unterlegenen Ratsmitglieder kann wohl der Freibetrag bei den Strafzinsen bezeichnet werden. Diese treffen nämlich vor allem Geldhäuser aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg, die auf hohen Einlageüberschüssen sitzen. Allerdings gibt es auch Erleichterungen für Institute, die nicht im Geld schwimmen: Die EZB lockerte die Konditionen für Banken, die langfristige Darlehen bei der Notenbank aufnehmen wollen. Sofern sie selbst bei der Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher bestimmte Schwellenwerte übertreffen, will die EZB ihnen Geld zu Negativzinsen leihen – die Institute müssten die Zentralbankdarlehen also nicht vollständig zurückzahlen.

US-Präsident Donald Trump kommentierte die Beschlüsse im Kurznachrichtendienst Twitter mit dem Hinweis, die Europäer würden „dafür bezahlt, Geld zu leihen, während wir Zinsen bezahlen“. Er warf der US-Notenbank zum wiederholten Mal vor, mit ihren höheren Leitzinsen der Wirtschaft zu schaden.

Tatsächlich profitieren von den Negativzinsen in Euroland unter anderem Unternehmen, deren Schuldtitel so gefragt sind, dass sie sie nicht vollständig zurückzahlen müssen. Erst diese Woche hatte Siemens mitgeteilt, Anleihen mit negativen Renditen platziert zu haben. Der deutsche Staat profitiert davon schon lange, laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters könnte der Bund dadurch in diesem Jahr rund fünf Milliarden Euro einsparen. Vor diesem Hintergrund mehren sich auch unter deutschen Ökonomen seit einigen Wochen die Rufe nach höheren Staatsausgaben, um einer tiefen Rezession vorzubeugen. Der Ökonom Peter Bofinger schrieb auf Twitter, da die Bundesregierung nichts tue, „sollte man der EZB dankbar sein“.