Nach 20 Jahren kehrt Nina Kurzeja als Performerin und Tänzerin zurück. In sieben Kurzfilmen begibt sich ihre neue Produktion „Roter Morgen“ zum 1. Mai auf Spurensuche in einer nicht ganz gewöhnlichen Kindheit.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - In einem weniger bekannten Kapitel westdeutscher Nachkriegsgeschichte stöbert die Stuttgarter Choreografin Nina Kurzeja mit ihrer neuen Produktion „Roter Morgen“. Um eine Kindheit im Umfeld der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) geht es in den sieben Kurzfilmen, die am 1. Mai um 20.30 Uhr online gehen, und um die Frage, wo Platz für die Kunst ist in einem populistischen Weltbild.

 

Frau Kurzeja, in Ihrer neuen Produktion geht’s um eine Kindheit im Umfeld der KPD/ML. Wie hoch ist der autobiografische Anteil?

In erster Linie ist dies ein künstlerisches Projekt. Ich recherchiere schon lange und habe einige Gespräche mit ehemaligen Genossinnen und Genossen geführt. Es gibt vielleicht manche autobiografische Ähnlichkeit zu meiner eigenen Kindheit, aber mir ist es hoffentlich gelungen, auch einen übergeordneten Blick einzunehmen. Es geht ja nicht darum, Menschen vorzuführen. Ich versuche unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen und lade dazu ein, diese Figuren zu beobachten und eigene Schlüsse zu ziehen.

„Roter Morgen“ blickt in sieben kurzen Filmen zurück. Was war der Anlass?

Das hat tatsächlich mit der Pandemie zu tun: Als ich die Anträge letztes Jahr gestellt habe, war mir klar, dass dies kein großes Bühnenwerk werden kann. Vielleicht ist das eine Chance in dieser für die Kultur so furchtbaren Zeit: dass wir nicht den Druck haben, riesige Projekte stemmen zu müssen. Zeit für ein Nischen-Thema war meine Idee. Es ist schön, in einem kleinen, vertrauten Team intensiv zusammenzuarbeiten und wieder selber zu spielen – man nimmt nicht mehr alles so bitter ernst.

Sie spielen, singen, tanzen alle Rollen selbst. Welche haben Ihnen besondere Freude gemacht?

Eigentlich liebe ich die inzwischen alle. Die Olga, eine alternde Ballettlehrerin, hat irre viel Spaß gemacht. Aber im Team ist Rolf die Nr. 1! Wir haben festgestellt: jeder kennt irgendeinen „Rolf“ – gerade vielleicht, weil er nicht ganz so sympathisch daherkommt. Und als Diva endlich auch mal zu singen, ist natürlich großartig. Nicht, dass ich das beherrsche, aber ich kann es hier voller Inbrunst trotzdem tun.

Die Stimmung Ihres „Schwanengesangs“ schwankt zwischen Tragik und Komik. Was empfinden Sie beim Rückblick?

Das liegt ja oft nah beieinander. Das Projekt hat nicht den Anspruch einer Dokumentation, dennoch hat das Scheitern der Links-Ideologien im Rückblick auch etwas Befremdlich-Komisches. Viele Betroffene der damaligen Szene und ihre Angehörige sehen das anders:Wie in jeder radikalen Vereinigung spielen da Mechanismen eine Rolle, die nicht lustig sind. Das trifft man heute wieder in Gruppierungen, die ihre apodiktischen Meinungen verbreiten wollen. Und immer steht irgendwann die Freiheit der Kunst auf dem Spiel. Auch deshalb gehört die Kunstförderung endlich ins Grundgesetz! Sie schützt und unterstützt unsere Demokratie.

Hatten Sie ein schlechtes Gewissen bei Ihrer ersten Cola?

Daran habe ich keine Erinnerung mehr. Aber ich war tatsächlich einige Zeit regelrecht süchtig nach Cola light. Im Studium habe ich manches Abenteuer auf mich genommen, um im Dresden Anfang der 1990er Jahre an dieses Getränk zu kommen. Da dachte ich schon manchmal: „Au Backe, Papa, wenn du wüsstest….“

Was sagte Ihr Vater zu Ihrer Entscheidung, Künstlerin zu werden? Oder ging Ballett in der DKP/ML noch durch?

Puh, das ist eine ganz eigene und ziemlich lange Geschichte… Dazu könnte ich noch eine weitere Serie machen. Aber eins nach dem anderen. Jetzt erstmal: Raus zum 1. Mai!

Info

Film: Nina Kurzejas Film „Roter Morgen – Ein Schwanengesang in sieben Teilen“ feiert am 1. Mai 2021 um 20.30 Uhr seine Online-Premiere. Alle sieben Kurzfilme bleiben bis zum 31. Juli online. Tickets (eine Schutzgebühr von 5 Euro unterstützt die Arbeit der Künstler) und Infos gibt es auf der Internetseite der Produktion, d er Vorverkauf läuft bereits. Am 3. Mai, 19 Uhr, gibt es ein Gespräch mit Nina Kurzeja und ihrem Team via Zoom. Ein Einladungs-Link wird rechtzeitig auf der Internetseite der Produktions bekannt gegeben.

Künstlerin: 1972 als Tochter eines KPD/ML-Funktionärs geboren, wurde Nina Kurzeja an der Palucca-Schule in Dresden zur Tänzerin ausgebildet. In Stuttgart tanzte sie im Marco Santi Danse Ensemble und engagiert sich bis heute für die Belange der freien Künstler. 2002 zeigte sie mit „MM – die ultimative Quiztanzshow“ ihre erste eigene Produktion. 2006 gab’s eine Einladung zur Tanzplattform mit „Nell wartet“, 2008 den Stuttgarter Theaterpreis „Katastrophe/Schule der Gottlosigkeit“.