Drei Forscher aus Frankreich, den USA und den Niederlanden bekommen den Chemienobelpreis. Sie haben aus Molekülen Maschinen mit faszinierenden Einsatzmöglichkeiten gebaut – vom Nanoroboter bis zu organischen Computer.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stockholm - Der Verdacht, die Stockholmer Nobel-Stiftung habe einen Werbevertrag mit dem schwedischen Bäckereiverband, ist nicht ganz von der Hand zu weisen – denn auch bei der Bekanntgabe der Chemiepreisträger am Mittwoch greift die Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie, Sara Snogerup Linse, zu Bagels und Brezeln, um die Forschungsarbeiten von Jean-Pierre Sauvage, Fraser Stoddart und Bernard Feringa zu verdeutlichen. Tags zuvor hatten diese Snacks bereits als Anschauungsmaterial gedient, um die Erkenntnisse der Physikpreisträger über exotische Zustände von Materie in halbwegs verdaulicher Form zu erläutern.

 

Am Mittwoch symbolisieren die hochgehaltenen Backwaren die Einzelteile der winzigen molekularen Maschinen, die das Ergebnis der Forschungsarbeiten der diesjährigen Chemiepreisträger aus Frankreich, den USA und den Niederlanden sind. Diese Maschinen sind nur wenige Nanometer (Milliardstel Meter) groß – ein menschliches Haar ist ungefähr 1000-mal so dick. Eine der wohl spektakulärsten Entwicklungen der Arbeitsgruppe um Feringa ist ein molekulares Auto mit Allradantrieb, dessen Funktionsweise bei der Preisvergabe in einem kurzen Video gezeigt wird. Es bewegt sich allerdings noch etwas holprig über die Leinwand – immerhin handelt es sich noch um einen Prototypen. Ein anderes Beispiel ist ein molekularer Aufzug, der zwischen zwei Stationen hin und her fährt und beispielsweise andere Moleküle transportieren könnte.

„Das ist absolute Grundlagenforschung“

„Die diesjährigen Preisträger haben extrem kleine Maschinen gebaut und sind in eine neue Dimension der Chemie vorgedrungen“, heißt es in der Begründung der Jury. Von der praktischen Anwendbarkeit sind die Arbeiten der drei Preisträger allerdings noch gut ein Stück entfernt. „Das ist absolute Grundlagenforschung“, sagt Nobel-Juror Olof Ramström. Er vergleicht die Nanomaschinen mit den ersten elektrischen Maschinen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die zunächst belächelt worden seien – und heute aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sind. „Die Zukunft wird zeigen, wie wir das hier anwenden können“, so Ramström.

Einen ersten Vorgeschmack liefert der bei der Preisbekanntgabe per Telefon zugeschaltete Feringa. Die Beispiele, die er nennt, klingen teilweise noch reichlich utopisch. Etwa ein molekularer Miniroboter, der im Körper eines Patienten Krebszellen attackieren oder Medikamente an den optimalen Wirkort transportieren könnte. Das erinnert ein wenig an den US-Science-Fiction-Film „Die phantastische Reise“ aus dem Jahr 1966. In diesem Streifen lassen sich Wissenschaftler samt einem U-Boot verkleinern und in den Blutkreislauf eines Menschen injizieren, um an ihm eine komplizierte Hirnoperation vorzunehmen. Was es bereits gibt, ist ein Nanoroboter, der Aminosäuren – die Einzelteile der Proteine – miteinander verbinden kann. Zudem ist es Stoddart im Labor gelungen, eine Art molekularen Muskel zu schaffen, der sich kontrolliert zusammenzieht und sogar eine dünne Goldschicht verbiegen kann.

Ein potenzielles Einsatzgebiet sind Energiespeicher im Nanomaßstab

Denkbar sind laut Feringa auch intelligente Materialien, die sich an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen können. Ein weiteres potenzielles Einsatzgebiet sind Energiespeicher im Nanomaßstab, mit denen sich Schwankungen bei Stromproduktion und -verbrauch ausgleichen ließen. Auch in der IT-Branche könnten sich interessante Anwendungen ergeben. So entwickelte Stoddart einen molekularen Speicherchip. „Die Transistoren auf den heutigen Chips sind winzig, aber gigantisch im Vergleich zu Transistoren auf molekularer Basis“, schreibt die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in ihrer Begründung. Der Maschinenbau stehe dank der Arbeiten von Sauvage, Stoddart und Feringa vor einer ähnlichen Miniaturisierungswelle wie bisher die Computerbranche, heißt es weiter.

Der Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Alexander Schwarz, hält die Preisvergabe an Jean-Pierre Sauvage, Sir J. Fraser Stoddart und Bernard L. Feringa für absolut gerechtfertigt – wiewohl ihm auf deren Forschungsgebiet „auch viele andere Namen“ eingefallen wären. Zugleich ist der Chemiker stolz, dass zwei der drei Laureaten Humbodt-Preisträger seien. Schwarz ist fasziniert von den Dimensionen, in die die Preisträger vorgedrungen sind. „Die Ribosomen (das sind die Proteinfabriken der Zellen – d. Red.) sind auch tolle molekulare Maschinen“, so Schwarz. Doch die jetzt prämierten Nanomaschinen seien viel kleiner.

Die Preisträger

Jean-Pierre Sauvage wurde 1944 in Paris geboren. Der französische Chemiker ist Professor an der Universität Straßburg. Sauvage wurde an der Uni Straßburg promoviert und war als Postdoktorand an der Uni Oxford. 2009 /2010 war er Gastprofessor an der Universität Zürich, 2010 bis 2012 Gastwissenschaftler an der Northwestern University.

Sir J. Fraser Stoddart (Mitte) wurde 1942 im schottischen Edinburgh geboren. Er studierte an der Universität von Edinburgh Chemie. Nach der Doktorarbeit ging Stoddart für einige Jahre zum Forschen nach Kanada. 1997 kam er in die USA. Dort forschte und lehrte Stoddart zunächst in Kalifornien, seit 2008 an der Northwestern University im Bundesstaat Illinois.

Bernard L. Feringa (Foto unten), geboren 1951 in Barger-Compascuum, ist ein niederländischer Chemiker. Er studierte an der Universität Groningen und wurde dort 1978 promoviert. Seit 1988 ist er an der Uni Groningen Professor, seit 2008 Professor der Niederländischen Akademie der Wissenschaften.