Neue Methoden erlauben gezielte Eingriffe in das Erbgut des Menschen. Damit könnte man einmal genetische Krankheiten heilen – vielleicht auch mehr. Muss man die genetische Optimierung des Menschen verbieten? Die Nobelpreisträger würden auf eine politische Debatte lieber verzichten.

Lindau - Eigentlich sind sich die vier Wissenschaftler einig: Die neue Methode CRISPR (ausgesprochen: „Krisper“) ist zwar vielversprechend, funktioniert aber noch lange nicht gut genug, um sie bei menschlichen Embryonen einzusetzen. Mit CRISPR kann man, so die Idealvorstellung, krankhaft veränderte Gene ersetzen und dadurch einem heranwachsenden Kind eine Erbkrankheit ersparen. Doch eine Studie von Junjiu Huang und seinem Team von der Sun Yat-sen Universität im chinesischen Guangzhou hat vor einigen Wochen gezeigt, dass CRISPR noch viele weitere Veränderungen im Erbgut vornimmt, ohne dass die Wissenschaft verstehen würde, warum. Und nur bei 4 von 86 Embryonen hatte das Ersetzen des Gens überhaupt geklappt. (Die chinesischen Forscher hatten Embryonen verwendet, die bei künstlichen Befruchtungen aussortiert worden waren. Womöglich hat das die Fehlerrate zusätzlich erhöht.) Die vier Wissenschaftler auf dem Podium der Nobelpreisträgertagung in Lindau halten es daher für verfrüht und unverantwortlich, jetzt schon klinische Anwendungen von CRISPR in Erwägung zu ziehen.

 

Doch als der Nachwuchsforscher Simon Elsässer vom Karolinska-Institut in Stockholm, der einzige ohne Nobelpreis auf dem Podium, sagt, die chinesischen Kollegen hätten die Studie nicht veröffentlichen sollen, fragt Michael Bishop neben ihm scharf zurück: „Warum denn nicht?“ Weil man mit dem Experiment nichts Neues gelernt habe, antwortet Elsässer. Die Schwierigkeiten der Methode seien bekannt gewesen. Bishop lässt sich aber nicht beirren: Er findet die chinesische Studie sehr wertvoll – als Warnung gegen übertriebenen Optimismus. Und Elsässer, der an der Universität Tübingen studiert hat, gibt er noch mit: „Ach, Ihr Europäer seid doch gegen alles.“

Michael Bishop ist alt genug, um die Asilomar-Konferenz als junger Forscher miterlebt zu haben. Damals, im Februar 1975, haben Genetiker in Asilomar, Kalifornien, über die Chancen und Risiken der ersten Manipulationsmöglichkeiten diskutiert. Für Bishop war die Tagung ein Erfolg und sollte nun bald für CRISPR wiederholt werden: Die internationale Wissenschaftlergemeinde legte sich damals selbst Regeln auf, so dass die Politik nicht mehr reagieren musste. Elizabeth Blackburn plädiert ebenfalls für eine Asilomar-Konferenz zu CRISPR: Die Therapie von Krankheiten, die auf ein defektes Gen zurückgehen, werde man sicher vernünftig regeln können, sagt sie, sobald irgendwann einmal eine zuverlässige Methode zur Verfügung stehe. Tiefer ins Erbgut einzugreifen, liege ohnehin nicht in der Macht der Wissenschaft.

Der Bundespräsident fordert eine offenere Debatte

Als Beispiel nennt Blackburn die Korrektur eines Gens, das die Gefahr von Alzheimer erhöht. Man verstehe das Wechselspiel der Gene viel zu schlecht, als dass man das Risiko eingehen dürfe, ein solches Gen zu ersetzen. Wer weiß schon, welche Rollen es sonst noch im Körper spielt. Viele Gene haben in verschiedenen Organen unterschiedliche Funktionen. Aus Blackburns Sicht wird in der Öffentlichkeit zu viel dramatisiert. Den Menschen genetisch zu optimieren übersteigt für sie die Möglichkeiten der Genetik bei weitem. Und überhaupt: „So etwas wie einen idealen Menschen gibt es doch nicht“, sagt sie. Als würde das davor schützen, dass niemand versucht, seine persönliche Vorstellung eines idealen Menschen umzusetzen. Richard Roberts, der vierte Wissenschaftler auf dem Podium hat zum Beispiel Zweifel daran, dass die chinesischen Kollegen nur im Sinn hatten, die Schwierigkeiten von CRISPR aufzuzeigen. „Es wäre glaubwürdiger gewesen, wenn sie das zu Beginn ihrer Experimente gesagt hätten, als es hinterher zu behaupten.“

Roberts hält es für moralisch geradezu geboten, die Anlagen für Erbkrankheiten zu korrigieren, wenn das einmal zuverlässig möglich sein sollte. Eine Asilomar-Konferenz zu CRISPR würde demnach nur festlegen, wann die Methode als zuverlässig eingestuft werden kann und in welchen Fällen man sie anwenden sollte. In diesem Punkt gibt es in Lindau keinen Widerspruch. Den muss man sich von außen holen: Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Sarewitz hat kürzlich im Wissenschaftsmagazin „Nature“ dafür geworben, die Entscheidungen nicht der Wissenschaft zu überlassen. Wissenschaftler seien doch nicht gewählt, schreibt er. Und sie könnten nicht alle gesellschaftlich relevanten Punkte aufgreifen. Das wird auch in Lindau deutlich: Auf die Frage eines Journalisten, Patienten und ihre Ärzte in die Debatte über Gentherapien einzubinden, reagiert Michael Bishop abwehrend.

Auf einen ähnlichen Punkt hat Bundespräsident Joachim Gauck bei der Eröffnung der Lindauer Tagung hingewiesen: Er forderte „Entfaltungsräume“ zur Diskussion. „Wissenschaft kann und soll ihre große Verantwortung nicht allein tragen“, sagte Gauck. „Was wir brauchen, ist eine kritische Öffentlichkeit.“ Hier kann die Nobelpreisträgertagung ein Forum bieten. Die Diskussion mit Elsässer, Bishop, Blackburn und Roberts war als Pressekonferenz deklariert – offenbar die erste in der Geschichte der Tagung. Kein schlechter Anfang.