Zum Ende ihres Treffens in Lindau haben die Nobelpreisträger eine Resolution zum Klimawandel verabschiedet. Es ist erst das zweite Mal in der mehr als 60-jährigen Geschichte der Veranstaltung. Doch nicht alle Nobelpreisträger haben die Erklärung unterzeichnet.

Stuttgart - Ob Ivar Giaever nun seinen Nobelpreis zurückgeben wird? Vor einigen Jahren ist der Nobelpreisträger aus der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft ausgetreten, nachdem sie in einer Erklärung festgehalten hatte, dass der Klimawandel unbestreitbar sei. „Das ist wie eine Religion“, sagte Giaever diese Woche in einem Vortrag in Lindau. „Man kann darüber nicht mehr diskutieren.“ Und nun haben einige seiner Kollegen das jährliche Treffen in Lindau genutzt, um ebenfalls eine Erklärung zum Klimawandel zu herauszugeben. Sie fordern von den Vereinten Nationen, den Klimagipfel in Paris Ende des Jahres zu nutzen, um entschlossen zu handeln. Man müsse die CO2-Emissionen drastisch zu senken, um nicht „künftige Generationen der Menschheit einem unzumutbaren Risiko aussetzen“. Von den 65 Nobelpreisträgern, die nach Lindau gekommen waren, haben am Freitag bei einem Ausflug auf die Insel Mainau 36 unterschrieben, darunter auch Klaus von Klitzing vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart.

 

Es ist erst die zweite Resolution der Nobelpreisträgertagung. Vor 60 Jahren, am 15. Juli 1955, hatten sich 18 Nobelpreisträger gegen Atomwaffen ausgesprochen. Die Stuttgarter Zeitung sprach damals von einem „Friedensmanifest“ und zitierte im Titel die Aussage: „Wer sich heute auf einen Krieg einlässt, ruft seinen eigenen Untergang herbei.“ Der Text zum Klimawandel ist im Laufe der diesjährigen Tagung entstanden – auf Initiative der Nobelpreisträger selbst. Das sei nicht einfach gewesen, sagt der Sprecher der Initiative, der Astrophysiker Brian Schmidt, denn nicht alle Kollegen könnten E-Mails empfangen. Aber bis auf Ivar Giaever seien alle einverstanden, obwohl einige nicht unterzeichnet hätten, weil sie sich nicht kompetent genug fühlen würden.

Dass es keine Experten aus der Klimaforschung sind, die sich nun zu Wort melden, halten die Nobelpreisträger in der Resolution fest. Sie seien aber kompetent genug, um zu versichern, dass die Erkenntnisse vom Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht vor einem Jahr gut zusammengefasst worden seien. Ein zentrales Fazit des IPCC zitieren sie jedoch falsch: Das Gremium sagt nicht, dass der Mensch die „wahrscheinliche Ursache“ für den Klimawandel sei, sondern dass dies „extrem wahrscheinlich“ sei. Auf diese Formulierung kommt es an, denn dahinter verbirgt sich die Essenz der Forschung: Mit den Jahren sind die Messungen und Analysen besser geworden, so dass die Zuverlässigkeit der Aussagen steigt. Als „wahrscheinliche Ursache“ hat der IPCC die Treibhausgasemissionen noch in seinem Bericht aus dem Jahr 2001 bezeichnet; das entspricht einer Chance von mehr als 66 Prozent. Im Bericht von 2007 lautete die Einschätzung schon „sehr wahrscheinlich“, also mehr als 90 Prozent, und zuletzt „extrem wahrscheinlich“, was eine Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als fünf Prozent bedeutet.

Die Nobelpreisträger formulieren auffallend vorsichtig

Die Vorsicht in der Formulierung durchzieht das ganze Manifest: Der jüngste Bericht des Weltklimarats sei „bei weitem nicht perfekt“, aber immerhin „eine der besten Informationsquellen über den heutigen Kenntnisstand zum Klimawandel“. Und über das „genaue Ausmaß des Klimawandels (herrsche) noch Ungewissheit“, aber die Erkenntnisse der Klimaforschung seien gleichwohl „alarmierend“. Ob die Nobelpreisträger damit den Kritikern entgegenkommen wollen, die finden, dass zu viel Gewissheit der Wissenschaft schade? Im Pressegespräch drücken sich Brian Schmidt und seine Kollegen entschiedener aus. Die Gegenposition von Ivar Giaever respektiere er, sagt Schmidt. „Aber diese Einzelposition bedeutet nicht, dass es in der Wissenschaft keinen breiten Konsens geben würde.“ Viele Nobelpreisträger hätten zwar lange gegen den Mainstream ihrer Zeit gearbeitet, bevor sich ihre Sicht der Dinge durchsetzte, gesteht er zu. Aber in diesem Fall sei der Konsens schon sehr stark und gut belegt.

Das bestreitet Ivar Giaever natürlich. Er hält den bisherigen Temperaturanstieg von 0,8 Grad für vernachlässigbar und bezweifelt sogar, dass er korrekt gemessen worden ist. Er scheut auch vor Rechentricks nicht zurück. Den bisher gemessenen Temperaturanstieg von rund 0,8 Grad gibt er zum Beispiel in Prozent an und wählt dazu die Temperaturskala Kelvin, die vom absoluten Nullpunkt ausgeht. Auf dieser Skala ist die weltweite Durchschnittstemperatur von 280,0 auf 280,8 Grad gestiegen – ein Anstieg von gerade einmal 0,3 Prozent. Und dieser Anstieg sei nicht einmal negativ, fügt er hinzu: „Alles auf der Welt ist seitdem besser geworden.“ Der Klimagipfel in Paris bereite ihm hingegen Sorgen: Dort hätten die „Alarmisten“ das Sagen. Stattdessen sollte sich die Weltgemeinschaft um die Armut und die Flüchtlinge kümmern.

Die jungen Forscher, die in Lindau die Vorträge der Nobelpreisträger hören, wirkten aufgebracht. In einer für Journalisten gesperrten Diskussionsrunde baten sie Steven Chu um einen Kommentar, der wie Giaever den Physik-Nobelpreis erhalten hat. Er stimme Giaever nur in einem Punkt zu, soll Chu geantwortet haben: Dass alles in der Wissenschaft im Prinzip überprüfbar bleiben müsse. Auch beim Pressegespräch zu ihrer Resolution hielten sich die Nobelpreisträger mit direkter Kritik zurück.

Die Nobelpreisträger wollen ein Vorbild sein

Was erhoffen sich die Nobelpreisträger von ihrer Resolution? Dass sie die Öffentlichkeit beeindrucken wird, erwarten sie nicht. „In meiner Heimat Australien sind Nobelpreisträger so bekannt wie Nebendarsteller in einem Werbespot, der vor fünf Jahren lief“, scherzt Peter Doherty, ein Nobelpreisträger aus der Medizin. Vielmehr gehe es in Lindau um die jungen Forscher, sagt der Physiker David Gross. „Wir sollten ihnen ein Vorbild sein.“ Und Brian Schmidt verweist auf eine moralische Verpflichtung, die er empfinde, sich öffentlich zu äußern, wenn es um so gravierende Dinge wie den Klimawandel gehe.

Sie alle sehen durchaus eine Chance für ein internationales Abkommen zum Klimaschutz: Dass sich die USA dazu verpflichtet hätten, ihre CO2-Emissionen zwischen 2005 und 2025 um 26 bis 28 Prozent zu reduzieren, dürfe man nicht unterschätzen. Diese Ankündigung könnte den Gordischen Knoten der Klimadiplomatie durchschlagen, sagen die Nobelpreisträger im Pressegespräch: Eines der wichtigsten Industrieländer übernimmt freiwillig Verantwortung. Aber müsste das Ziel nicht ehrgeiziger sein, um das Zwei-Grad-Ziel der Vereinten Nationen zu erreichen? „Ja, schon“, sagt Steven Chu. Aber das könne ja noch werden.