Der eine hat legendär harte Fäuste, der andere begnadet weiche Finger: der weiße Boxer Jack Doyle und der schwarze Bluesgitarrist RJ wollen gegen Ende der Prohibitionsära ihr Glück in der Stadt machen. Auf solche Kandidaten warten die alten und neuen Gangster nur.

Stuttgart - Man muss ein verdammt harter Kerl sein, um durch diese Tage zu kommen. Der Boxer Jack Doyle ist einer, hart genug, um aus eigenem Willen die von Gangstern bestimmte Karriere in der Stadt abgebrochen zu haben, um sich nun in den Prohibitionsjahren auf dem Land mit Jahrmarktsschlägereien vor zahlendem Publikum durchzubringen. Aber obwohl er uns im ersten Teil des Comics „Blue Note“ als Ich-Erzähler entgegen tritt, liegt er am Ende des Kampfes, mit dem seine Geschichte beginnt, ausgeknockt am Boden. Er ist nicht der einzige harte Kerl, der durchkommen muss.

 

Mathieu Mariolle und Mikaël Bourgouin nutzen das Halb- und Unterweltmilieu sowie die letzten Tage der Prohibition in den USA für die klassische Analyse des Noirs: egal, an wie viel Chancen einer herumzappelt, er hat eigentlich keine. Die offizielle Ideologie – hier: Anstand, Sauberkeit, Abstinenz – ist das eine, das reale Funktionieren der Gesellschaft etwas ganz anderes. Gangster haben das Sagen, ihre Profite korrumpieren Polizei, Justiz und Politik, und die feineren Kreise machen begeistert mit, denn die Gangster bieten in ihren Nachtclubs Amüsement satt.

Die Illusion vom Freiraum

Es gibt viele Dialoge in „Blue Note“, trotzdem liegt die Aussage in den dynamischen, jedoch meist strengen Bildern. Als Jack Doyle in die Stadt zurückkehrt und doch wieder für die alten Strippenzieher in den Ring steigt, da suggerieren die disziplinierten Bilder, dass der immer mal wieder wild ausrastende Kerl fest eingebaut ist in fremde Kompositionen und abgekartete Spiele, dass er den Freiraum nicht hat, den er sich freizuhauen glaubt.

Aufgelöst wird die in Gelbbraun-Tönen gehaltene Bilddisziplin der Nachtclubwelt ein paar mal, als Doyle am Rande das Leben von RJ streift, einem frisch in die Stadt gekommenen schwarzen Bluesmusiker. Dann lösen sich die festen Konturen in einem blauschwarzen Wabern auf, das wie Wellen der Leidenschaft der Gitarre entströmt.

Lavieren zwischen den Gewalten

Von RJ erzählt der zweite Teil dieser Graphic Novel, und wie Jack Doyle ist auch der Gitarrist ein talentierter Einzelgänger, der sich innerhalb eines Systems zurechtfinden muss, das er nicht mag und das nicht fair mit ihm umgeht. Wo Doyle sich stur gegen den Gangster Vincenzo und dessen Rivalen Egan stellt, versucht RJ, zu lavieren und beiden Konkurrenten zu seinem Vorteil zu geben, was sie von ihm wollen. Was nicht klappen kann, wenn die Ansprüche – Egan will Plattenaufnahmen, Vincenzo die absolute Exklusivität von RJs Spiel in seinem Club – unvereinbar sind.

„Blue Note“ ist also klassisch pessimistisch in seiner Analyse der Verhältnisse, weicht aber von der historischen Wirklichkeit deutlich ab. Man kann das für den interessantesten Teil der Erzählung halten oder für den Makel, an dem sie scheitert.

Schulterreiben statt Rassismus

Schauplatz der Erzählung ist der Logik nach New York, aber benannt wird die Stadt nie. Und in das Unbestimmte des Ortes hinein zeichnen Mariolle und Bourgouin nun eine rückwirkende Utopie, eine Aufhebung realer Trennungen. Von Rassismus ist hier zwar die Rede, aber der Umgang mit den schwarzen Musikern findet auf Augenhöhe statt. Musiker und Publikum, Weiß und Schwarz sind schlicht durch Begeisterung verbunden, es gibt nicht die Wiederaufnahme des Ekels, sobald die letzte Note verklungen ist, die soziale Distanzierung, die Weigerung, Hände zu schütteln, Schultern zu reiben, Respekt zu bezeugen.

Und so gibt es hier auch keine Trennung von Jazz und Blues, von derber Landmusik und raffinierter Club-Mucke. Son House und Duke Ellington können hier in einem Satz genannt werden, RJ verbindet Züge von Robert Johnson mit solchen von Charlie Christian – wobei selbst letzterer Vergleich hinkt, weil damals kein schwarzer Gitarrist, auch Christian nicht, den Jazzstarstatus genoss, den RJ sich im Nu erobert.

Eine Frage des Hörenwollens

Man kann das also für verblasenes nachträgliches Wunschdenken halten. Man kann es aber auch so lesen, dass „Blue Note“ seinen Figuren etwas mehr Freiheit gibt als die Welt damals, um ihnen mehr nehmen zu können und ihre letztliche Ohnmacht deutlicher herauszustellen. Auch beim Blues und Jazz war das ja immer so, dass die einen Blue Notes hörten, wo die anderen befanden, da werde falsch gespielt.

Mathieu Mariolle, Mikaël Bourgouin: „Blue Note“. Splitter Verlag, Bielefeld. Aus dem Französischen von Marcel Le Comte. 144 Seiten, 24,80 Euro.