Der Windows-Konzern kauft die Handysparte von Nokia für 5,44 Milliarden Euro. Beide kämpfen seit Jahren darum, in innovativen Geschäftsfeldern wie Smartphones und Tablets mitzuhalten. Seit zweieinhalb Jahren verbindet sie eine Partnerschaft.

Stuttgart - Auch wenn ein Zusammenschluss von Nokia und Microsoft seit zweieinhalb Jahren in der Luft lag, schlug die Nachricht am frühen Dienstagmorgen wie eine Bombe ein: Kein Gerücht, nichts hatte angekündigt, dass Microsoft die Handysparte von Nokia übernehmen würde. 5,44 Milliarden Euro wollen die Amerikaner für das Endgerätegeschäft der Finnen ausgeben – 1,65 Milliarden davon berappen sie dafür, dass sie zehn Jahre lang Nokia-Patente nutzen dürfen. Wenn die Kartellbehörden der Übernahme zustimmen, rechnet Microsoft mit ihrem Vollzug im ersten Quartal 2014.

 

Es ist bereits der zweite Paukenschlag, der aus der Konzernzentrale im US-amerikanischen Redmond innerhalb kürzester Zeit zur hören war: Erst Ende August hatte der langjährige Microsoft-Chef Steve Ballmer seinen Rückzug von der Konzernspitze erklärt, ohne einen Nachfolger zu nennen. Prompt wird nun der bisherige Nokia-Chef Stephen Elop als heißer Kandidat auf den Microsoft-Chefsessel gehandelt – hatte doch der langjährige Konzernlenker Ballmer bei seiner Rückzugsankündigung vor zehn Tagen betont, der nächste Chef müsse den Wandel zu einem Anbieter von Geräten und Diensten vorantreiben.

Der 49-jährige Elop, Vater von fünf Kindern, war 2010 von Microsoft zu Nokia gegangen und dort der erste nicht finnische Vorstandschef geworden. Als solcher hat er sein Amt am Dienstag niedergelegt. Microsoft äußerte sich zu den Gerüchten nicht. Künftig solle Elop die um Nokia erweiterte Gerätesparte leiten, hieß es nur.

Beide Firmen haben den Smartphone-Boom verpasst

Microsoft und Nokia arbeiten bereits seit Februar 2011 zusammen. Damals vereinbarten die beiden Konzerne, die beide den Anschluss an den Tablet- und Smartphone-Boom verpasst hatten, dass Nokia Software von Microsoft einsetzen würde. Kurz zuvor hatte Elop in einem heute legendären Brief an die Mitarbeiter ein erschreckendes Bild des früheren Weltmarktführers für Handys gezeichnet, in dem er Nokia mit einer brennenden Ölplattform verglich. „Das erste iPhone [des Konkurrenten Apple, Anm. d. Red.] ist 2007 auf den Markt gekommen, und wir haben immer noch kein Gerät, das dem nahekommt“, schrieb Elop in dem Brandbrief: „Android [das Handy-Betriebssystem von Google] hat vor gerade mal zwei Jahren die Bühne betreten und uns schon jetzt vom Thron des Weltmarktführers gestoßen. Das ist unglaublich.“ Verantwortlich machte er damals unter anderem die Nutzung des Betriebssystems Symbian, das in der Kooperation mit Microsoft durch Windows Phone abgelöst wurde. Aber auch mit Windows Phone fand Nokia nicht zu alter Stärke zurück.

Der Marktanteil von Nokias Lumia-Modellen bei den lukrativen Smartphones liegt unter den Erwartungen. Das Geschäftsjahr 2012 beendeten die Finnen mit einem Verlust von 3,1 Milliarden Euro. Bei günstigen Handys sind sie zwar nach wie vor Marktführer, was Nokia immer noch den Platz des zweitgrößten Mobiltelefonherstellers der Welt sichert, bei den vielseitigen Smartphones aber liegt der Marktanteil bei gerade einmal drei Prozent – weit abgeschlagen hinter den Konkurrenten Samsung (Korea) und Apple (USA).

Die erfolgreichen Rivalen gehen den gleichen Weg

Aus der Sicht von Microsoft hat der Zukauf dennoch durchaus seine Logik: Mehr als 80 Prozent der Windows-Phones weltweit stammen aus dem Hause Nokia – ein Niedergang des finnischen Herstellers oder sein Verkauf an einen Konkurrenten hätte für Microsoft mithin einen herben Rückschlag bedeutet. Zudem gehen die erfolgreichen Rivalen von Microsoft im Smartphone-Geschäft den gleichen Weg voraus: Apple produziert seit je seine iPhones selbst, und Google hat 2011 den – ebenfalls einstmals sehr erfolgreichen – Hersteller Motorola gekauft. Dieser Zukauf war allerdings mit 12,5 Milliarden Dollar deutlich teurer als der von Nokia jetzt.

Für Microsoft bedeutet der Schritt eine radikale Wende in der Strategie: Bisher hatte der einst von Bill Gates gegründete Windows-Konzern konsequent darauf gesetzt, seine Software an Dritte zu liefern. Als Apple 2007 das erste iPhone vorstellte, verlachte es der Microsoft-Chef Ballmer vor laufenden TV-Kameras und erklärte, dass er sich einen Erfolg des Gerätes nicht vorstellen könne. Diese eklatante Fehleinschätzung mag bei seinem Rückzug eine Rolle gespielt haben.

Zukauf zum Schnäppchenpreis

Leichter gefallen ist den Amerikanern der Zukauf von Nokia nicht zuletzt wohl auch angesichts des Schnäppchenpreises. Nokia selbst hat im Oktober 2007 beispielsweise mehr für den Kartenanbieter Navteq ausgegeben: Für ihre heutige Perle haben die Finnen damals 8,1 Milliarden Dollar (6,2 Milliarden Euro) hingeblättert. Einen ähnlichen Kauf gibt es auch in der Microsoft-Geschichte: 2011 gaben die Amerikaner 8,5 Milliarden Dollar für den Telefoniedienst Skype aus.

Microsoft selbst verspricht sich von der Übernahme, seinen Marktanteil deutlich ausbauen zu können: Bis 2018 soll er auf 15 Prozent steigen, erklärte Ballmer. Zudem wolle Microsoft durch die Kombination von Soft- und Hardware in einer Hand seine Verdienstmöglichkeiten vervierfachen: Bisher verdiene das Unternehmen pro Handy weniger als zehn Dollar Lizenzgebühr. Künftig soll die Marge pro Gerät auf mehr als 40 Dollar steigen, hieß es in der Präsentation. Analysten bewerteten den Zukauf aus Sicht von Microsoft tendenziell positiv. „Das ist ein gewaltiges, aber notwendiges Wagnis für Microsoft. Nach Jahren der Fehlschläge mit Windows Mobile schwenkt der Konzern jetzt um und übernimmt die Kontrolle über die Software und die Hardware“, sagt Geoff Blaber von CCS Insight: „Falls es Zweifel gab, dass ein neuer Microsoft-Chef die Strategie von Geräten und Diensten zurücknehmen könnte, sind diese nun zerstreut. Die Aktion wird das Geschäft von Microsoft dauerhaft verändern.“

Die Meinungen über den Zukauf gehen auseinander

Kritischer sieht hingegen Harry McCracken vom Technologie-Blog des Time-Magazins das Ganze und erinnert an den vergeblichen Versuch von Hewlett-Packard, mit dem Zukauf von Palm auf den bereits rasant fahrenden Zug zum Handheld-Computer – einem Vorläufer des Smartphones – aufzuspringen. In der Technologiebranche, so McCracken, gebe es mit einer Ausnahme keine Beispiele für einen geglückten Zusammenschluss von angeschlagenen Unternehmen. Diese Ausnahme aber sei der Zukauf der Steve-Jobs-Firma Next durch dessen ehemaligen Konzern Apple. Für den Apfelkonzern war dies der Wendepunkt, an alte Erfolge anzuknüpfen.

Auch Microsoft ist sich offenbar bewusst, dass seine Ausgangsbasis nicht die allerstärkste ist. „Aber auch bei der [Microsoft-Spielkonsole] Xbox sind wir von einer schwachen Position gestartet“, erinnerte Microsoft-Betriebssystemchef Terry Myerson am Dienstag in einer Telefonkonferenz. Elop und Ballmer jedenfalls haben sich offensichtlich Großes vorgenommen. In einem offenen Brief, der im Internet zu lesen ist, schrieben die beiden Manager: „Dies ist der Moment, in dem wir uns neu erfinden.“