Zum Abschluss der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf steht an diesem Sonntag der Klassiker über 50 Kilometer an – aus Sicht der Athleten ist es die ultimative Herausforderung, auch wenn sich im Lauf der Zeit einiges verändert hat.

Oberstdorf - Der Winter ist zurück in Oberstdorf, am Freitag schneite es dicke Flocken. Der Schnee veränderte das Panorama, und die Wetteraussichten rückten plötzlich noch mehr in den Blick. Denn der Höhepunkt der Nordischen Ski-WM findet erst an diesem Sonntag statt – das Rennen über 50 Kilometer. Der Klassiker. Das Drama. Der Schlussakkord. „Es ist“, sagt Tobias Angerer, „die ultimative Herausforderung.“

 

Er muss es wissen. Angerer (43), heute Vizepräsident im Deutschen Ski-Verband, gewann 2006 und 2007 den Gesamtweltcup. Er liebte die langen Kanten, die schwere Distanzläufe. Besonders zwei sind ihm in Erinnerung geblieben. Das 50er Rennen bei der WM 2009 in Liberec, als er Bronze gewann. Und jenes zwei Jahre später bei der WM in Oslo, bei dem am Holmenkollen 100 000 Fans die Strecke säumten. „Jeder 50er ist ein ganz spezielles Erlebnis“, erklärt Angerer, „und jeder schreibt seine eigene Geschichte.“ Das wird in Oberstdorf nicht anders sein.

Sportliche Faszination

Schließlich steht auch an diesem Sonntag (13 Uhr/ZDF) der Burgstall im Weg. Ein extrem steiler Anstieg, den es auf der 6,3-km-Runde im klassischen Stil achtmal zu bewältigen gilt. „Dieser Part der Strecke ist sehr anspruchsvoll“, meint Jochen Behle, der Ex-Bundestrainer und TV-Experte, für den der Russe Alexander Bolschunow der große Favorit ist. „Aber so ist es eben bei einer WM. Das macht ja auch den Reiz aus.“ Ein Reiz, der geschickt gefördert wird.

Die Zahl der 50-km-Rennen wird ganz bewusst klein gehalten. Es gibt höchstens zwei pro Saison – eines im Weltcup, ein zweites bei der WM oder bei Olympischen Spielen (stets am Schlusstag). So bleibt jeder Wettkampf über diese Distanz eine Besonderheit. „Das erhöht die Magie noch einmal“, sagt Tobias Angerer, für den der 50er zugleich eine große sportliche Faszination ausstrahlt: „Es ist ein mehr als zweistündiger Kampf gegen die Gegner, aber vor allem gegen sich selbst. Wer dieses Rennen angeht, dem muss klar sein, dass es wehtut. Und dass am Ende der Kopf und der Wille entscheiden.“

Echte Kraftpakete

Das hat sich im Vergleich zu Angerers besten Zeiten zwischen 2002 und 2011 nicht verändert. Anderes sehr wohl. Ski, Stöcke, Schuhe – das Material ist nun aus Carbon, „da gab es extreme Verbesserungen“. Und auch der Laufstil hat sich entwickelt. „Heute sind echte Kraftpakete unterwegs, alles ist viel dynamischer geworden. Wer aktuell erfolgreich sein will, der benötigt eine enorme Schnellkraft und Explosivität“, erklärt Andreas Schlütter, der Sportchef der deutschen Langläufer. Und Bundestrainer Peter Schlickenrieder sagt: „Es braucht mittlerweile viel mehr Ganzkörperkraft. Der 50er wird ja fast komplett durchgeschoben.“

Dazu kommt eine weitere Veränderung: in puncto Taktik. Bei der WM 2005 in Oberstdorf gab es erstmals einen Massenstart, ein paar Jahre später waren auch im Weltcup die Zeiten vorbei, in denen der Klassiker allein gelaufen und vor allem ein Kampf gegen die Uhr war. „Seither kann es auch mal passieren, dass 30 Kilometer lang gar nichts passiert“, sagt Jochen Behle, der seinen einzigen Weltcup-Sieg 1989 in Calgary in einem 50-km-Rennen holte, „dazu kommt, dass nun auch noch der Ski gewechselt werden darf, wenn man verwachst haben sollte. Deshalb hat der Respekt der Athleten vor dieser Herausforderung etwas abgenommen.“

Große Herausforderung

Und trotzdem braucht es weiterhin einen langen Atem. Weshalb in einer Sportart, die reich ist an Dopingfällen, die größte Herausforderung ganz besonders im Fokus steht. Die beiden in dieser Hinsicht auffälligsten Rennen gab es bei Olympischen Spielen. 2002 in Salt Lake City holte der für Spanien startende Allgäuer Johann Mühlegg nach seinen Siegen über 30-km-Freistil und in der 10-km-Verfolgung auch noch mit klarem Vorsprung Gold über 50 km – kurz darauf wurde er des Epo-Dopings überführt, verlor alle Medaillen wieder. Und 2014 in Sotschi zeigte sich die Überlegenheit der Russen beim Blick aufs 50er Podium überdeutlich: dort strahlten Alexander Legkow (1.), Maxim Wylegschanin (2.) und Ilja Tschernoussow (3.) nebeneinander. Jahre später stellte sich heraus, dass auch dieser Dreifach-Erfolg Teil des russischen Dopingprogramms war. Legkow (lebenslänglich) und Wylegschanin wurden gesperrt und mussten ihre Medaillen abgeben. Das sind die weniger schönen Kapitel in der Geschichte des 50-km-Rennens. In der übrigens auch zwei Biathleten auftauchen.

Ein ganz besonderes Rennen

In Sotschi ließ das deutsche Langlauf-Team zwei Plätze offen, um die sich bei frühlingshaften Temperaturen die Skijäger Arnd Peiffer und Erik Lesser bewarben. „Wir werden unendliches Leiden erfahren“, sagte Peiffer (40.) schon vor dem Start. Hinterher meinte Erik Lesser (42.): „Ich hatte Krämpfe, es war hart, aber ich würde es wieder tun.“

Weil es ein ganz besonderes Rennen ist – und bleibt. Auch wenn das Wetter, wie an diesem Sonntag in Oberstdorf, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse verheißt.