Verunglückt ein Mensch, zieht es den Hinterbliebenen oft den Boden unter den Füßen weg. Der Notfallnachsorgedienst versucht, zu helfen.

Leonberg - Wenn die ehrenamtlichen Helfer des Notfallnachsorgedienstes des DRK (NND) zum Einsatz gerufen werden, sind sie auf alles gefasst. Selten wissen sie genau, was sie erwartet. „Manchmal weiß das auch die Rettungsleitstelle, die uns anfordert, nicht bis ins Detail“, erklärt Monika Friedrich. Sie ist Kriseninterventionsberaterin und Bereichsleiterin des NND Nord, der, grob gesagt, für den Altkreis Leonberg zuständig ist. „Aber das vermischt sich mit den Bereichen Mitte und Süd des Landkreises Böblingen“, erklärt Wilhelm Vorreiter, der den NND im Kreis Böblingen mit aufgebaut hat.

 

Vorreiter nimmt sein Smartphone in die Hand und aktiviert eine App. Eine Landkarte erscheint auf dem Display, kleine Ziffern markieren den Standort der Helfer: „Mit dieser App können wir sofort sehen, welcher Helfer einsatzbereit ist“, erklärt er, „und wie weit der Weg für ihn zum Einsatzort ist.“

Betreuung in schwierigen Momenten

Und die Einsätze haben es oft in sich. Wenn bei einem plötzlichen Todesfall oder einem Suizid die Angehörigen unter Schock stehen, wenn die Polizei eine Todesnachricht überbringen muss oder wenn bei einem schweren Verkehrsunfall Unterstützung benötigt wird, dann stehen die speziell ausgebildeten DRK-Helfer des Notfallnachsorgedienstes in kürzester Zeit parat.

„Wir übernehmen die psychosoziale Betreuung für den Moment“, konkretisiert Friedrich die Aufgabe des NND. Wenn das Telefon klingelt und die Rettungsleitstelle oder die Polizei Bedarf meldet, wird sofort ein Team aktiviert. Mindestes zwei Helfer machen sich auf den Weg, bei größeren Einsätzen auch mehr. Wie bei dem schweren Unfall mit tödlichem Ausgang auf der B 295 am Ortsausgang Leonberg in Richtung Ditzingen Ende April dieses Jahres (wir berichteten).

Kinder haben Priorität

Als der Notruf über die Rettungsleitstelle bei Monika Friedrich einging, alarmierte sie sofort den ersten Helfer. Der gelangte über Feldwege zum Unfallort, „die Straßen waren ja gesperrt“, erklärt sie. Auch sie selbst war vor Ort und koordinierte die vier weiteren NND-Helfer, die letztlich mit ihr am Einsatz beteiligt waren. „Priorität haben immer Kinder“, erklärt sie, „aber Anspruch auf unsere Hilfe hat jeder, egal ob Betroffener, Angehöriger oder Augenzeuge.“ Dabei unterliegen die Helfer der absoluten Schweigepflicht, nichts, was bei ihren Gesprächen offenbart wird oder sie bei den Einsätzen erleben, dringt nach außen. Um das Erlebte aufzuarbeiten, gibt es die monatlichen Treffen der NND-Mitglieder. „Das entlastet uns sehr“, so Friedrich.

Das Unbegreifliche aushalten helfen

Die Helfer machen Mut, sie informieren über mögliche Optionen und helfen auch praktisch. Doch vor allem stehen sie den Menschen in Notsituationen bei: „Da sein und helfen, das Unbegreifliche auszuhalten“, erklärt sie.

Das ist für die Helfer nicht immer einfach. Da ist der Mann, der die Nachricht vom Unfalltod seiner Frau zur Kenntnis nimmt, der sich unbewegt in den Sessel setzt und den scheinbar keines der an ihn gerichteten Trostworte erreicht. Der aber Wochen später einen detaillierten Brief schreibt, wie sehr ihm die Worte des Helfers geholfen haben. Oder die Ehefrau, die zuerst den Sonntagsbraten fertigmachen und den Tisch decken muss, bevor sie sich hinsetzen kann und fragend feststellt: „Gell, er kommt nicht wieder?“

Helfer haben fundierte Ausbildung

„Manchmal sitzen wir auch nur da und schweigen.“ Friedrich erinnert sich an einen Fall, bei dem sie mehr als eine Stunde lang mit einem Hinterbliebenen im Wohnzimmer saß, ohne dass ein Wort gefallen wäre. „Auch das müssen wir zusammen mit den Angehörigen aushalten.“ Es braucht schon ein gutes Maß an Empathie und Tatkraft, um die Aufgaben des NND zu erfüllen. „Vor allem psychische Stabilität, Einfühlungsvermögen und Taktgefühl“, weiß die Bereichsleiterin, die sich mehr Nachwuchs für diese nicht einfache, aber wichtige Aufgabe wünscht.

Die Mitarbeiter des NND haben alle eine fundierte Ausbildung absolviert und nehmen regelmäßig an Fortbildungen, Nachbesprechungen und Supervisionen teil. Obwohl die psychosoziale Unterstützung bei Polizeieinsätzen sehr hilfreich ist und bei schweren Unfällen oder auch bei Katastrophen wie dem Winnender Amoklauf eine schlichte Notwendigkeit, sind die Mittel knapp. Der NND finanziert sich zu einem großen Teil aus Spenden, die beispielsweise Fortbildungen durch anerkannte Experten möglich machen.

Seit 1997 im Kreis Böblingen

In Böblingen hat das Deutsche Rote Kreuz 1995 mit der Gründung des Notfallnachsorgedienstes reagiert, seit 1997 sind die Helfer im Einsatz. Vorreiter erinnert sich an die Anfänge: „Wir hatten Landkarten vom Kreis und ein kleines grünes Buch mit allen Telefonnummern. Die Einsatzleitung hat alle Helfer nacheinander angerufen, bis ein genügend großes Team aktiviert war.“

In dem grünen Buch standen von den Mitarbeitern über psychologische Beratungsstellen bis hin zu Schulen oder Kindergärten alle möglichen Kontakte, die während eines Einsatzes eventuell gebraucht worden wären und die heute meist mit jedem Smartphone schnell und einfach herauszufinden sind.

Im Notfall helfen Teddy oder Zigaretten

Das Büchlein war unverzichtbar und wanderte mit den Karten in den Notfallrucksack, den jeder Mitarbeiter bis heute selbst für sich packt. Taschenlampe, Wasser, Handschuhe, Zigaretten, Teddybär, Kerze, Feuerzeug – jeder Helfer hat seine eigenen Erfahrungen gemacht, was beim Einsatz helfen kann.

Info: Gottesdienst

Der NND-Gottesdienst unter dem Motto „Niemand is(s)t für sich allein!“ findet in diesem Jahr am Sonntag, 29. September, um 10 Uhr in der evangelisch-methodistischen Markuskirche in Rutesheim in der Leonberger Straße 12 statt. Jeder ist ungeachtet seiner Konfession oder Konfessionslosigkeit herzlich eingeladen, teilzunehmen.