Die Kanzlerin schickt Spitzenbeamte in die US-Hauptstadt. Ziel ist, dass sich die Verbündeten nicht mehr belauschen. Die Chancen sind vage. NSA-Boss Alexander und Geheimdienstchef Klapper zeigen öffentlich noch keine Einsicht.

Washington - Eine Delegation deutscher Spitzenbeamter hat in Washington über die Konsequenzen aus der NSA-Lauschattacke auf das Mobiltelefon von Kanzlerin Angela Merkel beraten. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte, dass der außenpolitische Berater der Kanzlerin, Christoph Heusgen, und der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Günter Heiß, die Verhandlungen führen. Auf amerikanischer Seite sollten die nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice, der Geheimdienstdirektor James Clapper sowie die Antiterrorberaterin des US-Präsidenten, Lisa Monaco, teilnehmen.

 

In wenigen Tagen soll sich eine weitere deutsche Delegation auf den Weg machen, um über die künftige Geheimdienstarbeit zu beraten. Mit dabei sind dann die Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz – der für die Spionageabwehr zuständig ist – sowie des Bundesnachrichtendienstes (BND), Hans-Georg Maaßen und Gerhard Schindler.

CDU-Politiker Brok gibt sich optimistisch

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok war schon da – demonstrativ machte er nach einem Gespräch mit dem Chef des US-Geheimdienstes NSA, Keith Alexander, auf Optimismus. Die Amerikaner seien offenbar bereit, die Lauschangriffe gegen befreundete Regierungschefs wie Merkel einzustellen, sagte er. Brok deutete an, dass sich der Wunsch Merkels nach einem Nicht-Bespitzelungspakt mit den USA erfüllen könnte. General Alexander habe zugegeben, dass ein Regelwerk nötig sei, das Spionage unter Freunden unterbinde. Dies sei noch kein Durchbruch, aber ein gutes Signal, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament.

Ob das Signal tatsächlich zu einer neuen Realität im Umgang der USA mit ihren Verbündeten führen wird, mussten im Anschluss Heusgen und Heiß erforschen. Die Chancen für ein sogenanntes „No-Spy-Abkommen“ stehen allerdings eher schlecht, denn statt Einsicht zu zeigen, waren NSA-Chef Alexander und Geheimdienstdirektor Clapper zuvor lieber in die Offensive gegangen. Sie überhäuften die Europäer, die sich seit Monaten über die US-Spionageaktionen beschweren, ihrerseits mit Vorwürfen. In einer Anhörung im US-Kongress erklärten die Geheimdienstler, auch US-Politiker seien Opfer von Überwachung durch ausländische Dienste. Clapper wollte zwar nicht bestätigen, dass die NSA das Mobiltelefon der Kanzlerin abgehört habe, aber er sagte: „Das Ausspähen ausländischer Spitzenpolitiker ist das Kernziel von Spionage.“ Man müsse wissen, ob sich die Aussagen der Politiker mit dem deckten, was tatsächlich stattfinde. „Das ist eines der ersten Dinge, die ich 1963 in der Geheimdienstschule gelernt habe“, so Clapper.

Auch der BND spioniere US-Bürger aus, heißt es in den USA

Zeitgleich zu den vehement vorgetragenen Erklärungen, dass die Arbeit der NSA im Ausland Leben schütze und vom US-Recht gedeckt sei, erschien in der „Washington Post“ ein Beitrag, in dem der deutsche Auslandsgeheimdienst BND angegriffen wurde. Unter Berufung auf ehemalige Regierungsmitarbeiter schrieb das Blatt, der BND habe 2008 die Kommunikation von mindestens 300 US-Bürgern oder in den USA lebenden Menschen ins Visier genommen. BND-Chef Gerhard Schindler wies das prompt zurück. „Aus der deutschen Botschaft in Washington wird keine Fernmeldeaufklärung durchgeführt“, sagte er der „Zeit“. Der Regierungssprecher Seibert betonte ebenfalls, Regierungsvertreter in den USA würden vom BND nicht beobachtet. Zufällig aufgefangene Informationen von ihnen oder über sie würden gelöscht.

Dass es noch harter und langer Verhandlungen bedarf, bis es zu einem Nicht-Bespitzelungspakt kommen könnte, belegt auch der politische Konflikt im US-Kongress. In der Frage, ob und wie die NSA reformiert werden soll, sind die Parteien völlig zerstritten. Dies dürfte dem US-Präsidenten Barack Obama, der angeblich zu Konzessionen an die Deutschen bereit ist und vor allem von den Lauschangriffen auf Merkel nichts gewusst haben will, Fortschritte noch sehr erschweren.

Die NSA soll auch den Vatikan abgehört haben

Die „Washington Post“ berichtete derweil, dass sich die NSA heimlich Zugriff auf Rechenzentren der Internetkonzerne Yahoo und Google verschafft habe. Damit könne der Dienst die E-Mail-Kommunikation von Hunderten Millionen Menschen weltweit ausspähen, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Dokumente des früheren Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Auch US-Bürger seien von dem Überwachungsprogramm mit dem Namen „Muscular“ betroffen. Die NSA betreibt „Muscular“ den Angaben zufolge gemeinsam mit dem britischen Partnerdienst GCHQ. NSA-Chef Alexander wies die neuen Vorwürfe zurück. „Das hat nie stattgefunden“, sagte er in Washington.

Der Geheimdienst wies zudem einen Bericht des italienischen Magazins „Panorama“ zurück, wonach die NSA um die Jahreswende den Vatikan ausgeforscht habe. Dem Bericht zufolge habe die NSA womöglich auch Informationen gewonnen, wie über die Nachfolge des damaligen Papstes Benedikt XVI. beraten wurde. So seien Telefonate innerhalb des Kirchenstaats und von dort ins Ausland abgehört worden – darunter auch solche aus der Unterkunft von Kardinal Jorge Mario Bergoglio, der später zum Papst gewählt wurde.

Europa rüstet sich für Gegenoffensiven

Dominanz
Als Konsequenz aus den Lausch- und Spähattacken fordern immer mehr Politiker, Europa müsse die technologische Vorherrschaft der USA brechen und sich im IT-Bereich unabhängig machen. Die Digitalisierung dürfe nicht zu einer digitalen Weltherrschaft führen, die sich die USA und China teilen“, sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt der „Welt“.

Abwehr
Forderungen nach einer Gegenwehr gibt es auch in Frankreich. „Wirtschaftsspionage ist eine Realität“, sagte die Handelsministerin Nicole Bricq. „Da nützt kein Jammern. Ich denke, wir müssen besser sein und besserorganisiert.“ Zuvor hatte EU-Justizkommissarin Viviane Reding einen europäischen Geheimdienst als Gegengewicht zur NSA gefordert.

UN-Resolution
Deutschland will bei den Vereinten Nationen eine Resolution gegen das Ausspähen von elektronischer Kommunikation einbringen. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus müssten im Einklang mit dem Völkerrecht stehen, heißt es. Der Text wurde mit Brasilien ausgearbeitet, dessen Präsidentin Dilma Rousseff ebenfalls bespitzelt wurde.