Bei der Fortsetzung des NSU-Prozesses vor dem Landgericht München werden heute wieder Zeugen angehört. Einer davon traut Uwe Böhnhardt die Morde zu.

München - Ein Tattoo schlängelt sich aus dem Kragen seiner schwarzen Trainingsjacke über den Hals bis hinauf zu den kurzen dunklen Haaren seiner Frisur, ein anderes aus dem Ärmel bis zum Handrücken. Ein schlanker, groß gewachsener Mann, der sein Alter mit 38 Jahren angibt, aus Jena stammt und inzwischen im Westen Deutschlands lebt. Er war Sänger der Neonazi-Band „Vergeltung“. Viermal hatte das Gericht ihn vergeblich als Zeugen zum Münchner NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe geladen, am Mittwoch erscheint er endlich - und gibt streckenweise bereitwillig sein Wissen aus dem Innenleben des NSU und seinem Umfeld preis.

 

Beschaffer der Pistolen

Brisant sind vor allem seine Aussagen zu den mutmaßlichen Beschaffern der „Ceska“-Pistole, mit der das NSU-Trio in den Jahren nach seinem Untertauchen im Jahr 1998 neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet haben soll. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft war die Waffe über mehrere Zwischenstationen aus der Schweiz nach Jena geschafft worden. Lückenlos beweisen ließ sich die Beschaffungskette aber nicht.

Das hat sich nach Ansicht von Prozessbeteiligten am Mittwoch geändert. Der Richter hält dem Zeugen die Namen der mutmaßlich Beteiligten vor, ohne die „Ceska“-Pistole zu erwähnen. Sie alle hätten sich bestens gekannt, antwortet der Zeuge. Das hatten die mutmaßlichen Waffenbeschaffer, die selber schon als Zeugen im NSU-Prozess waren, teilweise bestritten. Die letzte Lücke in der Beweiskette sei damit geschlossen und der Weg der „Ceska“ endlich beweisbar, heißt es am Rande des Prozesses.

Zeuge gibt detailliertes Wissen preis

Ungewöhnlich bei diesem Zeugen ist auch, wie detailliert er sein Wissen über die Vorgeschichte und die Mitglieder des NSU preisgibt. 1992, so erinnert er sich, habe er Beate Zschäpe und Uwe Mundlos kennengelernt. Sie gehörten zu einer Clique, die sich meistens auf der Straße oder in den Trockenräumen der Mietskasernen in Jena-Winzerla traf. Nach und nach stießen weitere Jugendliche hinzu. Später sei der „Winzerclub“ zum Treffpunkt geworden. Da habe es Streetworker gegeben, „das waren links-alternative Typen“. Die Clique verstand sich als rechts. Die Sozialarbeiter hätten sie „genervt“. Sie hätten gern eigene Räume gehabt, ohne die Linken.

Das, so schildert der Zeuge, sei der Auslöser für die Gründung der „Kameradschaft Jena“ ein Jahr später gewesen. Da seien dann auch schon die im NSU-Prozess als mutmaßliche Terrorhelfer mitangeklagten Ralf Wohlleben und Holger G. dabei gewesen. Man habe sich einmal in der Woche getroffen, mal in Jena, manchmal auch in Rudolstadt beim „Thüringer Heimatschutz“. Die Gruppe habe sich strenge Regeln auferlegt. Kein Alkohol bei den Treffen, Pünktlichkeit, feste Mitgliedsbeiträge.

Mundlos sei damals ein „Freund“ gewesen und mit Zschäpe liiert. Er „hatte eine sehr gute Allgemeinbildung, war intelligent und zynisch“, sagt der Zeuge. Außerdem habe Mundlos „so ein Faible“ für Rudolf Heß gehegt.

Böhnhardt habe sich im Hintergrund gehalten

Uwe Böhnhardt habe sich dagegen meist im Hintergrund gehalten und meistens „gezockt“ - am Flipperautomaten oder beim Kartenspiel mit „Kameraden“. Bei politischen Diskussionen sei er „schnell an seine Grenzen gestoßen“. Seinen Charakter beschrieb der Zeuge als „unberechenbar“ und „aggro“. Wäre die Gruppe zufällig links gewesen, dann „wäre er Linksterrorist geworden“. Böhnhardt und Mundlos seien sehr verschieden gewesen. Er habe sich „gar nicht vorstellen“ können, „wie Mundlos das so lange mit Böhnhardt ausgehalten hat“.

Als das Trio abtauchte, da will er nicht mehr zur „Kameradschaft“ gehört haben. Kontakt habe er aber weiter gehalten. Die „Kameraden“ hätten ihn oft besucht, wenn er mit seiner Band „Vergeltung“ im Probenraum übte. Das Verschwinden des Trios habe viele in der Szene verwundert, vor allem, dass Zschäpe dabei war, von der es hieß, sie habe die Justiz nicht fürchten müssen. An Zschäpe erinnert er sich vor allem als Mundlos’ Freundin. Sie habe nur selten mitdiskutiert und nach seiner Erinnerung nie „am Tisch gesessen und Parolen geschrien“. Zschäpe lächelt, als er das sagt.