Die Flüchtlingshelferin Ragini Wahl unterstützt ins Land gespülte Menschen beim Versuch, ihre Interessen zu wahren. Sie mahnt mehr Willen zur Integration an – auf beiden Seiten.

Esslingen - Ihre sanfte Stimme und die leicht singende Sprechweise darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ragini Wahl ihren Gegenübern gehörig auf die Nerven gehen kann. Das passiere freilich nur, wenn etwas falsch laufe, sagt sie. Aber es läuft viel falsch im Umgang mit hilfesuchenden Flüchtlingen in Deutschland. Das weiß niemand besser als die 63 Jahre alte Flüchtlingshelferin aus Nürtingen.

 

Seit mehr als 30 Jahren hilft Ragini Wahl den aus den Krisenländern nach Deutschland gespülten Flüchtlingen, sich im Dschungel der Asylgesetzgebung zurechtzufinden. Sie hat in diesen drei Jahrzehnten das Aufwallen und Auslaufen der Flüchtlingswellen aus dem Libanon, Sri Lanka, Bosnien, Kosovo, Angola, dem ehemaligen Zaire, Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan miterlebt und die Menschen begleitet, die vor Hunger, Not und Krieg in ihren Heimatländern nach Deutschland geflüchtet sind.

Hilfe im Ehrenamt

Derzeit lotst sie einen Flüchtling aus dem Iran, vier Asylbewerber aus Afghanistan und einen traumatisierten Kosovo-Albaner durch die Klippen des Anerkennungsverfahrens. Meist ist es Mund-zu-Mund-Propaganda oder der Tipp hauptamtlicher Flüchtlingshelfer oder eines Anwalts, die einen hilfesuchenden Flüchtling an Ragini Wahls Türe klopfen lassen. „Ich fülle die Zwischenräume zwischen Flüchtling, Anwalt und Behörden“, sagt sie. Im Laufe der Zeit hat sie die Wege und die Irrwege des Asylrechts besser erkundet, als es je ein Anwalt oder ein Richter könnte – mit dem Unterschied, dass der Anwalt und der Richter für seine Arbeit bezahlt wird. Ragini Wahl nicht.

Und noch einen Unterschied gibt es zwischen der ehrenamtlichen Flüchtlingshelferin und denjenigen, für die der Umgang mit den Flüchtlingen zum Berufsalltag gehört. Ragini Wahl schaut nicht nur in die einschlägigen Gesetzesbücher, sondern auch in die Augen der Menschen, mit denen sie es zu tun hat. „Man bekommt eine Einschätzung, ob ein Flüchtling durchgängig argumentiert oder seine Geschichte nur gut einstudiert hat“, sagt sie. Wenn sie überzeugt ist, dann hat der Flüchtling in der Frau mit der sanften Stimme eine mächtige Helferin. „Wenn das Vertrauen da ist, dann ziehen wir das durch“, sagt sie. Der Hilfesuchende habe das Recht auf ein faires Asylverfahren und sie sorge mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dafür, dass er es auch bekomme. Wenn das Vertrauen nicht da ist, dann scheut Ragini Wahl aber auch nicht davor zurück, ihrem Klienten die freiwillige Ausreise ans Herz zu legen.

Theologisches Rüstzeug auf der Bibelschule geholt

Nach der mit 14 Jahren begonnenen Köchinnenausbildung hat sie die Mittlere Reife nachgeholt, hat sich zwei Jahre lang auf einer Bibelschule das theologische Rüstzeug geholt, ein Jahr lang für eine christliche Institution in Indien als Volontärin gearbeitet und schließlich den Abschluss als Hauswirtschaftsleiterin nachgeholt.

„Wir schaffen das“ hat Angela Merkel auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gesagt und – unabhängig vom Getöse aus Bayern und dem Geschrei der Rechtspopulisten – glauben immer mehr Menschen in Deutschland, es sei tatsächlich geschafft. Nein, sagt Ragini Wahl. Um es wirklich zu schaffen, fehle in diesem Land ein Gesamtkonzept, ein Marshallplan im Umgang mit den Flüchtlingen.

So mangle es am Bemühen, den Fremden die deutsche Sprache beizubringen. „Da muss man schon die Flüchtlingskinder in den Schulen und Kindergärten in den Blick nehmen“, sagt Ragini Wahl. Mangelnde Sprachkompetenz hier ziehe sich durch die gesamte Schullaufbahn und werde spätestens in der Berufsausbildung zum Stolperstein. Nächste Baustelle: der Arbeitsmarkt. „Trotz aller Bemühungen, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, leben zwei Drittel von Hartz IV“, zitiert Ragini Wahl aus einer Untersuchung. Ohne Arbeit keine Wohnung – wobei sich schon das nächste Problemfeld auftut. „Weil der freie Wohnungsmarkt den Flüchtlingen verschlossen sei, kommt es zum Stau in der Anschlussunterbringung“, sagt die Flüchtlingshelferin. Zu allen greifbaren Problemen kämen dann noch die Defizite in der psychosozialen Versorgung. „Bei den langen Wartezeiten bis zum Besuch bei einem Facharzt kommt ein traumatisierter Flüchtling nur schwer wieder auf die Beine“, sagt die Flüchtlingshelferin.

Kritik am „politischen Islam“

In all diese Leerstellen stoßen ihrer Beobachtung nach Kräfte, die an einer Integration von Flüchtlingen in die bundesdeutsche Gesellschaft gar kein Interesse hätten. „Der politische Islam ist dabei, das gesellschaftliche Klima zu verschieben“, sagt Ragini Wahl. Bis vor fünf Jahren war die Flüchtlingsarbeit für die Moscheevereine im Land überhaupt kein Thema. „Jetzt sind die Moscheen in den Flüchtlingsunterkünften aktiv, wo sie sich nicht um alle Bewohner, sondern ausschließlich um die Muslime kümmern“, sagt Ragini Wahl. Die Verlierer seien, wie schon in ihrem Herkunftsländern, die Aleviten und die Christen unter den Flüchtlingen. „Da wird Antiintegration gelebt und forciert“, sagt Ragini Wahl. Das sei keine Empfehlung für ein gutes Miteinander in einer freiheitlichen Gesellschaft.

Trotzdem. Ragini Wahl wird weitermachen. Sie wird weiterhin Wunden schließen und den Finger in die Wunde legen, wo es ihr notwendig erscheint. Und sie wird weiter nerven – mit sanfter Stimme.