Die Vorstellung der Bewerberin steht immer noch aus. An der Basis wächst die Skepsis. Erinnerungen an vergangene Wahlkämpfe werden wach.

Stuttgart - Im Rathaus ließen die Genossen die Sektkorken knallen, als am Wahlabend das Ergebnis feststand: Völlig überraschend hat ein weithin unbekannter Sozialdemokrat aus dem Stand heraus die Oberbürgermeisterwahl gewonnen. „Das ist geil“, jubelte der Landesvorsitzende, die Medien sprachen von einer Sensation.

 

Ein solches Wunder wie jüngst in Frankfurt, wo sich der SPD-Stadtverordnete Peter Feldmann nach seinem Wahlsieg am vergangenen Wochenende im Römer bis spät in die Nacht feiern ließ, erhoffen sich auch die Stuttgarter Sozialdemokraten für die OB-Wahl im Herbst. In den vergangenen Monaten hat sich die aus dem Kreisvorsitzenden Dejan Perc und der Chefin der Ratsfraktion, Roswitha Blind, bestehende Findungskommission bemüht, den Eindruck zu erwecken, es gebe bei den Genossen eine Vielzahl potenzieller Kandidaten, die sich um die Kandidatur reißen.

Die „große Unbekannte“

Nun, nach der Absage des parteiinternen Favoriten Jürgen Kessing, soll es eine Frau richten. Deren Namen wollen Blind und Perc aber erst nach Ostern preisgeben. Die Einlassung des Kreischefs, man setzte im Gegensatz zu CDU und Grünen „nicht auf Bekanntheit, sondern auf Kompetenz“, deutet darauf hin, dass es sich bei der Bewerberin wie in Frankfurt nicht um jemanden aus der ersten Reihe der Partei handelt.

Gleichwohl wächst die Skepsis an der Basis, ob die „große Unbekannte“ das Format hat, um gegen die politische Konkurrenz bestehen zu können. „Dilettantisch“ nennen gestandene Sozialdemokraten das Lavieren der Parteispitze in der Kandidatenfrage. Zuletzt hat es geheißen, man werde die Nominierung des SPD-Anwärters vom Ausgang des parteiinternen Ausscheidungsrennens bei der CDU abhängig machen.

Erinnerungen an die OB-Wahl 1996

Manche Genossen fühlen sich bereits schmerzlich an die OB-Wahl 1996 erinnert. Auch damals hatte die SPD ihren OB-Kandidaten relativ spät nominiert, nachdem sie sich zuvor bei prominenten Parteifreunden einen Korb geholt hatte. Schließlich wurde Rainer Brechtken auf den Schild gehoben. Doch der Bekanntheitsgrad des Marathon laufenden Landtagsabgeordneten und Präsidenten des Schwäbischen Turnerbunds beim Wahlvolk hielt sich in engen Grenzen. Und die SPD-Wahlplakate ohne Konterfrei des Kandidaten trugen im Wahlkampf nicht dazu bei, dessen Popularität zu steigern. Im ersten Wahlgang landete Brechtken denn auch mit nur 22,6 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz hinter dem damaligen CDU-Kandidaten Wolfgang Schuster und dem Grünen Rezzo Schlauch. Gleichwohl sahen die Genossen keinen Grund, ihren Bewerber für den zweiten Wahlgang zu Gunsten Schlauchs zurückzuziehen. „Wir sind auf der Überholspur und müssen nur noch ein bisschen Gas geben“, ermutigte am Wahlabend der Krimiautor Fred Breinersdorfer Brechtken zum Weitermachen.

Spannung kam aber auch im zweiten Wahlgang nicht auf, zumal sich kurzfristig mit dem Pforzheimer SPD-Rathauschef Joachim Becker ungefragt ein zweiter Genosse als sogenannter unabhängiger Bewerber ins Rampenlicht drängte. Die Folge: gerade noch 13,5 Prozent der Wähler gaben Brechtken im zweiten Wahlgang ihre Stimme. Während Becker, der sich später einem Parteiausschlussverfahren unterziehen musste, nur 3,4 Prozent erzielte, durfte sich Wolfgang Schuster freuen: Mit 4,6 Prozentpunkten Vorsprung auf Rezzo Schlauch ging er als Sieger durchs Ziel.

Genossen mit neuem Selbstbewusstsein

Auch acht Jahre später sicherten die Animositäten zwischen SPD und Grünen dem Amtsinhaber die Wiederwahl. Mit der Bundestagsabgeordneten Ute Kumpf allerdings schickten die Genossen 2004 ein politisches Schwergewicht ins Rennen um den Posten des Rathauschefs. Kumpf landete im ersten Wahlgang mit 32,5 Prozent zwar deutlich hinter Schuster, aber ebenso deutlich vor dem Bewerber der Grünen, Boris Palmer. Der zog vor dem zweiten Wahlgang seine Bewerbung zurück, gab aber zum Entsetzen der Kreis-SPD eine konditionierte Wahlempfehlung für den CDU-Amtsinhaber ab. In der Stichwahl steigerte Kumpf ihr Ergebnis dann auf über 45 Prozent, doch zum Sieg über Schuster reichte es für die SPD auch diesmal nicht.

Im Herbst wollen die Genossen den nächsten Anlauf unternehmen. Die Regierungsbeteiligung im Land hat auch der Kreispartei trotz miserabler Ergebnisse bei der Kommunal- und Landtagswahl in Stuttgart neues Selbstbewusstsein eingehaucht. Und dennoch wird in der Partei mit Unbehangen registriert, wie schwer sich die Parteispitze bei der Suche nach konkurrenzfähigen OB-Kandidaten getan hat. In Anspielung auf die angekündigte Vorstellung der Bewerberin nach Ostern seufzt ein leidgeprüfter Genosse: „Hoffentlich legen wir uns da kein Kuckucksei ins Nest.“