Wenn die Temperaturen sinken, wird es für Menschen, die auf der Straße leben, gefährlich. Im Rems-Murr-Kreis gibt es jedoch kaum Notschlafplätze für Obdachlose – weil sie nicht nachgefragt werden.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Waiblingen - Bei Temperaturen ab null Grad kommt er zum Einsatz: Der Kältebus des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) versorgt in Stuttgart Obdachlose mit heißem Tee, Decken oder Schlafsäcken, um sie vor dem Erfrieren zu schützen.

 

Warum es keinen Kältebus gibt

Im Rems-Murr-Kreis gibt es ein solches Angebot nicht. Ein DRK-Kältebus sei hier derzeit kein Thema, „da es aufgrund der eher ländlichen Struktur im Kreis deutlich weniger Bedarf gibt als in Stuttgart“, erklärt Christian Siekmann, der Pressesprecher des DRK-Kreisverbands Rems-Murr. Im Rettungsdienst kämen Einsätze mit unterkühlten Patienten zwar vor, allerdings sehr selten – und wenn, dann habe deren Unterkühlung in der Regel eine andere Ursache.

Anton Heiser leitet die ambulanten Hilfen beim diakonischen Sozialunternehmen Erlacher Höhe. Seiner Einschätzung nach gibt es tatsächlich kaum Menschen im Rems-Murr-Kreis, die auf der Straße leben. „Ein Überblick ist schwierig, aber ich gehe davon aus, dass wir von ihnen wüssten“, sagt Heiser. Das ambulante Wohnheim, das die Erlacher Höhe in Backnang betreibt, verzeichne im Winter zumindest keinen erhöhten Zulauf. „Im Prinzip ist hier nix anders als sonst“, schildert er die Lage.

Es könnte bald mehr Obdachlose geben

Das heißt aber auch: Die elf Plätze sind alle belegt, zwei bis vier Personen könne man noch notunterbringen. „Aufgrund der angespannten Wohnungsmarktsituation finden die Menschen hier nur ganz schwierig neuen Wohnraum“, berichtet der Leiter der ambulanten Hilfen. Das führe dazu, dass die Betroffenen im Schnitt ein Jahr im Wohnheim bleiben. „Der Wohnungsmarkt ist total zu.“

Angesichts dessen könne es durchaus sein, dass bald wieder mehr Menschen auf der Straße leben müssten – auch im Rems-Murr-Kreis, warnt Anton Heiser: „Es ist enorm, was da auf uns zurollt.“ Zwar werde derzeit verstärkt sozialer Wohnungsbau betrieben, doch bis dieser Früchte trage, dauere es noch.

Kommunen verzeichnen keinen Bedarf

Ist ein Obdachloser vom Erfrieren bedroht, ist die jeweilige Kommune dafür zuständig, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Konkret sorgt dann die Polizei oder das Ordnungsamt dafür, dass der Betroffene einen sogenannten Notschlafplatz bekommt. In Stuttgart gibt es dafür die Zentrale Winternotübernachtung. In der Regel verlassen die Obdachlosen die Einrichtung tagsüber wieder und kehren in ihr Leben auf der Straße zurück.

Vergleichbare Angebote gibt es im Rems-Murr-Kreis nicht. „Es besteht derzeit kein Bedarf“, erklärt etwa eine Pressesprecherin der Stadt Schorndorf. „Notschlafplätze nur für einzelne Nächte werden in der Regel so nicht nachgefragt und daher auch nicht angeboten“, teilt auch die Stadt Waiblingen mit. Man gehe davon aus, dass es nur wenige Menschen gebe, die hier dauerhaft auf der Straße leben. In Winnenden sind derzeit einer Sprecherin zufolge ebenfalls keine Fälle bekannt.

Platz in den Notunterkünften

Auch Backnang verzeichnet momentan keine Obdachlosen, die auf der Straße schlafen müssen. „Dies liegt auch daran, dass die Stadt Backnang ganzjährig bemüht ist, von Obdachlosigkeit bedrohte oder betroffene Personen dabei zu unterstützen, neuen Wohnraum zu finden“, sagt eine Sprecherin der Stadt. In Notfällen könne man Obdachlosen aber in Wohnungen mit sozialer Zweckbindung einen Schlafplatz anbieten. Auf diese Möglichkeit würde man im Notfall auch in Winnenden zurückgreifen, heißt es aus dem dortigen Rathaus.

Wer seine Wohnung verliert – etwa weil sie durch ein plötzliches Ereignis unbewohnbar wird oder er sie räumen muss – kann im Rems-Murr-Kreis in städtischen Notunterkünften unterkommen, bis er eine neue Bleibe gefunden hat. So sind in den entsprechenden Einrichtungen in Schorndorf beispielsweise aktuell 80 Menschen untergebracht. Es seien noch Kapazitäten frei, teilt die Stadt mit. In Weinstadt gibt es für wohnungslose Männer acht Container, die einem Sprecher zufolge derzeit „gut belegt sind“. Freie Plätze gebe es aber noch. Für obdachlose Frauen stünden fünf Zimmer zur Verfügung, die aktuell alle unbelegt seien.

Dazu, wie viele Menschen im Rems-Murr-Kreis wohnungslos sind, gibt es keine gesicherte Datengrundlage, erklärt das Landratsamt. Die Zahlen seien schwierig zu erfassen, auch weil viele Wohnungslose beispielsweise bei Bekannten unterkommen und nicht unbedingt als Bedürftige in Erscheinung treten. „Aktuell wird aber daran gearbeitet, dass diese Daten in Zukunft erfasst werden und genutzt werden können“, erklärt eine Sprecherin der Behörde. Der Kreis versuche, Menschen, denen der Verlust ihrer Wohnung droht, schon frühzeitig zu unterstützen. So gebe es etwa im Amt für Soziales und Teilhabe eine eigene Fachstelle zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit, die gerade personell aufgestockt werde.

Was tun im Notfall?

Handeln: Wer einen Obdachlosen antrifft, der zu erfrieren droht, sollte sich an das Ordnungsamt oder die Polizei wenden. Besteht bereits akute Lebensgefahr, ist umgehend medizinische Hilfe über den Notruf 112 anzufordern.

Erfrieren: Normalerweise liegt die Körpertemperatur des Menschen zwischen 36 und 37 Grad. Sinkt sie auf 35 bis 32 Grad, versucht der Körper zunächst, seine Temperatur durch Muskelzittern konstant zu halten. Gleichzeitig ziehen sich die Gefäße in den Gliedmaßen zusammen – das reduziert die Wärmeabgabe an diesen Stellen. Sinkt die Körpertemperatur weiter ab, kommt es zu einem Bewusstseinsverlust, der Blutdruck fällt ab, schließlich hört das Herz auf zu schlagen.

Risiko: Wie groß die Gefahr einer Unterkühlung ist, hängt unter anderem vom Gesundheitszustand und Körperfettanteil des Betroffenen ab. Alkohol erhöht das Risiko.