In Berlin wird im Moment der Mordversuch an einem Obdachlosen verhandelt – angeklagt sind sieben junge Flüchtlinge. Der populistisch verwendete Begriff des Gastrechts verzerrt dabei absichtlich die Debatte, findet unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Im Kriminalgericht Berlin wird derzeit ein Fall verhandelt, der in den Weihnachtstagen die Schlagzeilen beherrschte: sieben junge Männer versuchten, einen schlafenden Obdachlosen in der U-Bahn anzuzünden. Die Polizei veröffentlichte Überwachungsvideos, die Verdächtigen stellten sich. Dann wurde bekannt, dass alle Flüchtlinge sind – und viele Menschen reagierten mit Empörung.

 

Vor Gericht sieht man auf den Videos Herrn B. aus Polen unter einer Decke auf der Bank liegen. Was für eine traurige Weihnachtsnacht. Sein Rucksack ist sein Kissen. Man sieht ein paar Jungs, die auf die Bahn warten, feixend, gelangweilt, nicht betrunken wirkend. Irgendwann bemerken sie Herrn B., unterhalten sich. Dann bemerken sie die Kameras und setzen sich ihre Kapuzen auf. Einer von ihnen zündet ein Taschentuch an und legt es neben den Kopf des schlafenden Menschen. Schnell lodert ein kleines Feuer direkt neben dem Gesicht, wird größer, dunkler Rauch steigt nach oben. Die Jungs gehen weg, steigen in eine Bahn, schauen sichtlich erheitert aus den Fenstern.

Herr B. muss künftig mit der Angst weiterleben

Herr B. ist in Lebensgefahr. Gerettet wird er von einem Mann aus einem haltenden Zug, der den Rucksack wegzieht. Der Fahrer der Bahn setzt einen Feuerlöscher in Gang. Am Ende sieht man Herrn B. verstört und einsam vor der Bank stehen. Seine wenigen Sachen sind mit Löschschaum benetzt. In sich trägt er künftig das Grauen, nur durch Glück viel Schlimmerem entronnen zu sein. Herr B. ist derjenige in dieser Geschichte, der künftig mit der Angst leben muss, immer, wenn er sich in aller Öffentlichkeit einen Schlafplatz sucht. Er ist der, der leidet, der alle Empathie verdient hat, aber vermutlich nicht bekommt. Die Taten, gleich wie sie juristisch geahndet werden, wirken niederträchtig und grausam.

Vor diesem Hintergrund klingt eine Frage zunächst provozierend: Müssen Flüchtlinge bessere Menschen sein als Nichtflüchtlinge? Oder woher rührte die Empörung, als bekannt wurde, dass Flüchtlinge die Täter waren, also Menschen, die hier Schutz suchen und bekommen, vor Grausamkeit und Gewalt. Von missbrauchtem Vertrauen war die Rede. Vom Verrat. Es ist klar, warum: emotional verletzt wird die alte Idee des Gastrechts. Einer lässt den anderen in sein Haus, dafür brandschatzt und mordet der nicht und ist dankbar. Aber was heißt das für die, die sich nicht daran halten? Wie einfach die Antwort ist, zeigt die Umkehrung der Frage: würden wir sieben deutsche Jungs aus gutem Haus bei Begehung der Tat als weniger grausam, ihre Verhalten als weniger schuldhaft empfinden?

Asyl hat mit Gastrecht nichts zu tun

Der Fall zeigt praktisch nebenbei, wie populistisch verwendete Begriffe die politische Debatte verzerren und ungenau machen. Es gibt im deutschen Recht die Möglichkeit, Ausländer bei schwersten Straftaten oder großer Gefahr fürs Land abzuschieben. Das hat nur mit einem Gastrecht rein gar nichts zu tun. Genauso wenig wie das Recht auf Asyl. Dieses steht in der Verfassung. Politiker, die in letzter Zeit das Wort in ihre Reden einbauen, lassen das bewusst außer acht. Sie nähren damit bei Bürgern die falsche Erwartung, von Flüchtlingen sei eine besondere Rechtstreue zu erwarten. Damit ist am Ende niemandem gedient. Es lohnt sich, Gefühle außen vor zu lassen, was die Jugendrichterin in Berlin wunderbar tut. Für sie ist klar: wer gegen das Gesetz verstößt, wird dafür verurteilt. Andere Voraussetzungen sind uninteressant.