Jürgen Kessing darf seine dritte Amtszeit als Rathauschef von Bietigheim-Bissingen einläuten, 54,7 Prozent der Wähler votierten für ihn. Sein Herausforderer, der Wengerter Stephan Muck, konnte 43,53 Prozent einfahren – deutlich mehr, als die meisten für möglich gehalten hätten.

Politik: Lisa Kutteruf (lis)

Bietigheim-Bissingen - Gegen 19.30 Uhr steht das Ergebnis fest: Jürgen Kessing darf Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen bleiben. 54,7 Prozent der gültigen Wählerstimmen entfallen auf ihn, 43,53 Prozent auf seinen Herausforderer Stephan Muck – ein Prozentsatz, mit dem Kessings Konkurrent mehr als zufrieden ist. „Das ist ein super Ergebnis“, freut er sich nach der Wahl. „Es bestätigt, dass mein Ansinnen, etwas verändern zu wollen, richtig war.“ Kessing hingegen interpretiert das Ergebnis zu seinen Gunsten. Er bedauert die niedrige Wahlbeteiligung von nur 38,35 Prozent – und nimmt sie als Erklärung dafür, warum das Ergebnis nicht deutlicher ausgefallen ist. „Viele, die zufrieden sind, sind nicht zur Wahl gegangen“, glaubt er.

 

Etwa zwei Stunden zuvor: Gegen 17.45 Uhr tröpfeln die letzten vereinzelten Wähler in den Ratssaal. Es ist die Ruhe vor dem Ansturm. Denn nur eine knappe halbe Stunde später ist der Saal prall gefüllt. Die Anwesenden sind Freunde und Bekannte von Jürgen Kessing (SPD) und Stephan Muck (Freie Wähler), die für das Amt des Bietigheimer Oberbürgermeisters kandidiert haben. Letzterer hat sich ebenfalls in die Menschentraube gemischt – und wirkt entspannt. „Ich war heute joggen und hab meine Eltern besucht“, sagt er. „Später bin ich mit meiner Frau wählen gegangen.“ Dann richtet er den Blick auf die Leinwand, über die kurz darauf die ersten Auszählungsergebnisse flimmern. Alle paar Minuten jubeln einige Menschen lautstark – immer dann, wenn Muck in einem Wahlbezirk vor dem amtierenden Oberbürgermeister Jürgen Kessing liegt.

Winzer gegen DLV-Präsident

Kessing, SPD-Mann und seit 2004 Oberbürgermeister, ist Diplom-Verwaltungs- und Betriebswirt und hat reichlich Verwaltungserfahrung. So ist es auch ihm zu verdanken, dass Bietigheim als gut situierte Stadt dasteht, deren Schwierigkeiten manch andere Kommune wohl als Luxusprobleme abtun dürfte. Dennoch wurde in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik am Amtsinhaber laut. Er kümmere sich zu wenig um die Innenstadt, das Gewerbe und kleine Handelsbetriebe. Weitere Kritikpunkte zielten auf das ungelöste Verkehrsproblem der Stadt und das Thema Wohnen ab. Umstritten ist auch Kessings Funktion als Präsident des Deutschen Leichtathletikverbands – ein zeitaufwendiges Ehrenamt, das er seit November 2017 innehat.

Der Freie-Wähler-Stadtrat Muck wiederum ist in Bietigheim vor allem als Winzer und Wirt des „Besa im Städtle“ und der Lama Bar bekannt. Er kann auf 20 Jahre Erfahrung im Bietigheimer Gemeinderat zurückblicken, in der Verwaltung gearbeitet hat er bislang aber noch nicht. Den Bürgern präsentierte sich Muck als volksnah-unkonventioneller Bietigheimer, der sich aus vollem Herzen dem neuen Amt widmen würde.

Dynamischer Wahlkampf – auch im Netz

Im Wahlkampf bemühte Muck auch digitale Medien, profilierte sich mit einer eigenen Internetseite, in den sozialen Medien – und brachte den Amtsinhaber dazu, nachzuziehen. Neben der Eigenwerbung gab es Podiumsdiskussionen, Fragestunden und Videointerviews. Für die junge Netzgemeinde löcherte der Bietigheimer Motivationscoach und Instagrammer Christian Akgül beide Kandidaten mit Fragen vor laufender Kamera. Die Grün-Alternative Liste hatte sich vor der Wahl für Kessing ausgesprochen. Die CDU sah trotz Unzufriedenheit mit dem amtierenden Rathauschef von einer Wahlempfehlung ab.

Während Muck zum ersten Mal kandidierte, bewarb sich Kessing bereits zum dritten Mal als Oberbürgermeister. Vor acht Jahren war er konkurrenzlos für eine zweite Amtsperiode angetreten. Die Wahlbeteiligung lag damals bei lediglich 25 Prozent, Kessing erhielt 96,2 Prozent der gültigen Stimmen.

Neben dem der beiden Aspiraten stand noch ein dritter Name auf den Wahlzetteln: Günther Kirchknopf. Der Unternehmer hatte seine Kandidatur als parteiloser Bewerber am 13. Februar aber überraschend wieder zurückgezogen. Dass sein Name dennoch auf den Wahlzetteln stand, lag an der Bewerbungsfrist, die zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war.

Nach Angaben der Landeszentrale für politische Bildung (lpb) liegt die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg bei 51,2 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Amtsinhaber abgewählt wird, wenn er nochmals kandidiert, ist gering: Dies geschieht dies nur in einem von 13 Fällen.