Nach dem Attentat auf die Oberbürgermeister-Kandidaten Henriette Reker nahmen nur vierzig Prozent der Kölner an der Wahl teil – trotz vielfacher Aufrufe, durch den Urnengang ein Zeichen zu setzen.

Karl Bernd Hüttenbrink ist in diesen Tagen der wichtigste Mann in Köln. Jedes seiner Worte wird genau analysiert, ist er doch der behandelnde Arzt der gewählten, aber noch nicht vereidigten neuen Oberbürgermeisterin der Stadt. Der Direktor der Hals-, Nasen- und Ohrenabteilung der Uniklinik hat maßgeblich dafür gesorgt, dass Henriette Reker ihre lebensgefährlichen Verletzungen überstehen konnte. Seine Worte am Wochenende haben viele Menschen in der Stadt aufatmen lassen. „Wir halten zum jetzigen Zeitpunkt und bei normalem Verlauf die vollständige Wiederherstellung und Gesundung von Frau Reker für wahrscheinlich.“

 

Hüttenbrink hat diese Sätze noch am Wahltag gesprochen, sie waren für nicht wenige Ansporn, jetzt erst recht ihr Kreuz hinter der Kandidatin zu machen. Sie selbst hat nichts von diesem ihr Leben verändernden Tag mitbekommen. Die Ärzte haben sie in ein künstliches Koma versetzt, um die Heilungschancen zu verbessern.

Köln ist ein Stück weit führungslos

Am Mittwoch kommen die Ratsvertreter Kölns zusammen, eigentlich müssten sie an diesem Tag die neue Oberbürgermeisterin vereidigen. An diesem Punkt hat der Arzt Hüttenbrink allerdings für Klarheit gesorgt: das sei angesichts des gesundheitlichen Zustands undenkbar.

Reker kann bis acht Tage nach der Wahl erklären, dass sie nicht Oberbürgermeisterin werden will; ihr Wahlkampfteam hat dies allerdings ausgeschlossen. So wird Elfi Scho-Antwerpes, Zweite Bürgermeisterin, möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in die Klinik fahren und Reker vereidigen. In der Zwischenzeit führt Stadtdirektor Guido Kahlen die Amtsgeschäfte.

Wolfgang Niedecken nennt die Reaktion „beschämend“

Die Stadt ist also ein Stück weit führungslos in dieser schwierigen Zeit, in der sich die Kölner seit dem Attentat einige dringende Fragen stellen. In der Vergangenheit war die Stadtgesellschaft immer aufgestanden, wenn Rechte oder Ausländerfeinde das liberale Klima drehen und ihre Hassparolen durchsetzen wollten. Legendär sind die Auftritte der Künstler, als 1993 schon einmal die Stimmung zu kippen drohte. Damals schlossen sich die Frontmänner von BAP bis hin zu den Höhnern unter dem Namen „Arsch huh – Zäng ussenander“ zusammen, was – frei übersetzt – bedeutet: Arsch hoch und Zähne auseinander, wenn dein Nachbar bedroht ist.

Nach dem jüngsten Angriff auf Frau Reker und der niedrigen Wahlbeteiligung von 40 Prozent trotz aller Appelle, doch bitte die Stimme abzugeben, herrscht Ernüchterung. „Die Wahlbeteiligung ist beschämend“, urteilt etwa Wolfgang Niedecken, der BAP-Frontmann, das Gesicht Kölns, „wenn sich am Tag nach so einem Anschlag nur so wenige Menschen aufraffen, zur Wahl zu gehen und ein Zeichen zu setzen, dann muss man sich große Sorgen um den Zustand der Demokratie machen“.