Eine seltene Apfelsorte kommt in der Gemeinde erneut zu Ehren. Etliche Vereine arbeiten dafür zusammen und der „Ortspomologe“ Matthias Braun kümmert sich aus Leidenschaft um alte Kernobst- und Traubensorten.

Hemmingen - Es war extrem kalt. Deshalb haben die jungen Bäume gleich nach dem Pflanzen noch wärmenden Mulch auf die Füße, respektive die Baumscheibe, bekommen. Auf der Obstwiese des Naturschutzbundes (Nabu) in Hemmingen stehen seit dem Wochenende vier junge Apfelbäume, gepflanzt von Honoratioren – auch der Bürgermeister Thomas Schäfer war dabei und ein Landtagsabgeordneter der Grünen: Markus Rösler ist auch Nabu-Sprecher für Streuobst. Dereinst sollen die Hochstämme stattliche Luikenbäume sein und Äpfel liefern – zum Essen, für Saft oder ein hochprozentiges Destillat.

 

An der Pflanzaktion beteiligten sich vier Vereine: Der Obst- und Gartenbauverein, der Verein der Gartenfreunde, der Nabu Hemmingen/Schwieberdingen und der Ortsgeschichtliche Verein. Alle waren sich einig: Es sei gut, wenn alte Sorten kultiviert werden. Allerdings ist Geduld nötig. Den ersten Ertrag werden die Hochstämme in sieben oder acht Jahren bringen. In Hemmingen gebe es noch zwei Luikenbäume, erzählte der Obstkundler Matthias Braun – vom Bürgermeister als „unser Ortspomologe“ bezeichnet. Die Sorte sei vor 150 Jahren in Württemberg verbreitet gewesen: „Luike war in jedem Most, das war ein landschaftsprägender Baum.“

Noch 1400 alte Sorten vorhanden

In Deutschland gebe es noch rund 1400 alte Apfelsorten, sagte Rösler. Er regte an, in Hemmingen eine Sammelstelle einzurichten, die im Herbst Äpfel von Streuobstwiesen zu einem fairen Preis annehme – sonst mache sich niemand mehr die Mühe, Äpfel aufzusammeln. In der Tat: Auf dem Weg zur Wiese lagen haufenweise verfaulte Äpfel.

Etwa 50 alte Sorten gebe es noch auf Wiesen in Hemmingen, hat Braun ermittelt. Der 49-Jährige ist begeisterter Obstkundler, pflegt diese Leidenschaft als Ausgleich zu seinem Job als Verwaltungsbeamter. Eine tolle Idee sei es, meint der Rathauschef Schäfer, einen „Hemminger Calvados“ anzustreben – den dann auch der Bürgermeister zur Repräsentation verschenken könne. Dafür eignet sich der Luikenapfel gut. Edelbrand kann man aber jetzt schon aus anderen Äpfeln machen – der Nabu und die Gemeinde haben genug Bäume.

Um ein ordentliches Destillat zu erzeugen, sind Sorgfalt und Mühe nötig, wissen Experten. Alles zusammenklauben, was herumliegt, und in ein Fass schmeißen – dabei kommt nur ein Rachenputzer heraus. Apfel-Edelbrand geht anders: Mit sorgfältig geernteten reifen Äpfeln, von einem Baum oder in einer stimmigen Mischung.

Die Liebe zum Apfel begann als Kind

Zu den alten Sorten, erzählt Matthias Braun, gehören auch die Goldparmäne, der Rheinische Bohnapfel oder der Krummstiel. Der Boskoop, ein aus Holland stammender Winterapfel, ist erst rund 100 Jahre alt. Braun kann viele Namen aufzählen – das erste Wissen über Äpfel hat er sich in jungen Jahren angeeignet. Als Kind bei den Großeltern habe seine Liebe zu den alten Obstsorten begonnen, sagt er. Um nach langer Pause wegen Familie und Beruf vor zehn Jahren in Hemmingen wieder aufzuleben. Da habe er von der Gemeinde zwei Bäume zum Ernten zugeteilt bekommen. Es war der alte Bohnapfel, wie sich herausstellte. „Ich habe versucht, die Sorte zu bestimmen und eines kam zum anderen“, erzählt Braun. Die Leidenschaft für Brettacher und Co. war wieder erwacht.

Heute geht Braun über Obstbaumwiesen, vor allem zur Reifezeit, sucht alte Sorten, konferiert mit professionellen Pomologen, tauscht Zuchtreiser und macht Veranstaltungen – auch mit Gleichgesinnten. Etwa mit Jörg Geiger aus Schlat bei Göppingen. Ein paar Jahre zuvor habe er begonnen, sich mit alten Weinsorten zu beschäftigen. Auch das ist ein weites Feld jenseits von Spätburgunder, Riesling und Trollinger. Und auch das hat mit Kultur zu tun. Keine Überraschung, dass der Hemminger Apfelmann auch bei Slowfood aktiv ist – dem Verein, der sich weltweit für eine nachhaltige Kultur der Ernährung einsetzt. Es ist halt nicht wurst, was man isst. Sondern manchmal auch Luike.