Energieeffizienz beim Entwerfen und Bauen ist wichtig, die nachhaltigsten Gebäude sind allerdings jene, die möglichst lange bestehen – da kommt die allzu oft vernachlässigte Baukultur ins Spiel, findet Nicole Golombek.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

230 Millionen Tonnen Müll pro Jahr entstehen beim Bauen und beim Abreißen in Deutschland, das ist rund die Hälfte des Mülls in Deutschland überhaupt. Und 40 Prozent der Treibhausgase sind auf die Baubranche zurückzuführen. Ja, stimmt, aber nur 2,6 Prozent davon entstehen im Hochbau, wehrt sich die Bauindustrie. Aber knapp 75 Prozent verursachen die Nutzer im häuslichen Alltag, beim Heizen, Kochen, Waschen und Duschen. So oder so. Es sieht nicht gut aus, und schon zum zweiten Mal hat der Gebäudesektor in Deutschland sein Emissionsminderungsziel nicht geschafft.

 

Mehr Umbau, weniger Müll

Zahlen sprechen eine drastische, deutliche Sprache. Über Geschmack lässt sich streiten, über Zahlen nicht. Und die Zahlen sagen, es muss etwas passieren in Sachen klimafreundliches Bauen und Umbauen. Unglaublich viele Vorschläge werden gemacht, wie das zu schaffen ist. Viele Interessen sind im Spiel; auch mit Klimaschutz, Wärmepumpen, Solaranlagen, Wärmedämmung lässt sich viel Geld verdienen. Nicht mehr bauen, nur noch umbauen, um weniger Müll zu erzeugen und die Graue Energie zu bewahren, die in Gebäuden steckt, fordern die einen. Nur noch mit schon gebrauchtem Material bauen, raten die nächsten, also so bauen, dass alles Material beim Abbruch wieder trenn- und wiederverwertbar ist, lautet eine Forderung.

Gerade dieser Vorschlag, so gut er ist, berührt einen wunden Punkt in der Diskussion – das kurze Leben von Gebäuden. Gerade mal 30 bis 40 Jahre steht ein Rathaus, ein Büroturm, ein Kaufhaus, bis es abgerissen wird. Warum? Nicht nur, weil es teurer ist zu sanieren, um- und weiterzubauen. Sondern auch, weil keiner es vermissen wird. Kurzum: es fehlt an Baukultur, an Wissen um gutes Bauen. Gestaltungsräte der Städte und Gemeinden wiederum, die sich über Entwürfe beugen, sind letztlich machtlos. Und beim gewinnmaximierenden Bauen zählt die Rendite und nicht Altruismus oder die Aussicht auf eine Architekturauszeichnung. Oft fehlt auch Wissen. Architektur, gute Baukultur, Wissen um gute Proportionen, Entwürfe, Gestaltung ist kein Fach, das in der Schule unterrichtet wird. Geschweige denn politisch offensiv gefördert würde.

In architektonischen Vorzeigeregionen wie Vorarlberg in Österreich existiert ein Anforderungspunktekatalog für gute und ökologische Architektur; Investoren, Bauherren können Punkte sammeln und entsprechende Zuschüsse bekommen. Sie haben also die Wahl, fürs selbe Geld schlecht zu bauen – ohne Beihilfe – oder gut zu bauen – mit finanzieller Hilfe. Und am Ende kommen die Touristen. Vorarlberg ist, anders als die Alb, die Eifel und das Siegerland, um nur ein paar hübsche ländliche Regionen zu nennen, nicht nur bei Wanderern ein Hit, sondern auch bei Architekturfans. Stuttgart wirbt für sich mit der – noch stehenden, maroden Oper – auch weil sie ästhetisch punktet, das Mercedes-Benz-Museum ist auch von außen einen Besuch wert, es zählt zu den beliebtesten Museen Deutschlands. Dass Städte und Gemeinden nicht schlicht Investoren überlassen dürfen, die Städte zu bauen und damit die Lebenswelten zu prägen, sondern Architekturwettbewerbe ausschreiben, ist also auch wirtschaftlich ratsam.

Gut geplante Gebäude sind nachhaltig

Keiner würde den Louvre, den Kölner Dom, die Berliner Gedächtniskirche, das Haus Mies van der Rohe in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung und James Stirlings Staatsgalerie, das Guggenheim-Museum in Bilbao, Günter Behnischs und Frei Ottos Olympiastadion in München, eine Palladio-Villa abreißen lassen, wenn das Gebäude nicht mehr den aktuellen energetischen Anforderungen genügt. Auch gut gebaute Alltagsgebäude überdauern die Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte. Gründerzeithäuser sind beliebte Wohngebäude in Städten, und wen es aufs Land zieht, der schwärmt von Backsteinherrenhäusern und Fachwerkbauernhöfen.

Die Diskussion um bessere, ökologischere Architektur erschöpft sich häufig im kleinlichen Streit um das nachhaltigere Baumaterial. Ein Haus, ein öffentliches Gebäude aber, das von der Gesellschaft hundert oder gar hunderte Jahre nach seiner Errichtung für Wert befunden wird, stehen zu bleiben – und da ist es schon fast egal, ob aus Beton, Ziegel oder Holz gebaut – ist das nachhaltigste.