Hallstatt zwängt sich zwischen Berg und See und hat nicht mal auf dem Friedhof genug Platz.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich einen Totengräber vorzustellen. Friedrich Idam entspricht keiner davon. Und doch, dieser Mann, der an der Friedhofsmauer oberhalb von Hallstatt steht und so eine beruhigende Gemütlichkeit ausstrahlt, hat hier die Toten ein- und ausgegraben, ihre Schädel bemalt und im Beinhaus aufgestellt – wie es der Brauch will in diesem eigenwilligen, kleinen, hübschen und morbiden Ort im oberösterreichischen Salzkammergut. Aber vielleicht beginnen wir einfach mal mit dem Blick von der Friedhofsmauer, der erklärt nämlich schon eine ganze Menge: Wer hier steht, der hat die Berge im Rücken und den Hallstätter See zu Füßen.

 

Und dazwischen, auf einer kleinen Landzunge, liegt der Ort, als würde er sich an den Hang klammern, um nicht ins Wasser zu rutschen. Es gibt hier einen „Weg über die Dächer“, der so heißt, weil die Häuser so verschachtelt übereinander- und ineinandergebaut worden sind, dass man nicht mehr so recht zwischen Weg und Dach, Balken und Winkeln, Kaminen und Toren unterscheiden kann. Es gibt ein wildes bauliches Durcheinander aus Biedermeier und Gotik, Alpenbarock, aus Sechziger-Jahre-Kitsch und Achtziger-Jahre-Bausünden.

Zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche steht das Heritage-Hotel, direkt neben dem Kebab-Stand Karmez und der Bootsanlegestelle. Ein Ausflugsschiff lädt gerade eine Hochzeitsgesellschaft ab, und der halbe Ort ist gekommen. Man kennt sich hier natürlich. In den engen Gassen drängen sich Touristen aus Korea und Amerika, Deutschland und China, Indien und Österreich, und von der Promenade weht der Wind unverständliche Gesprächsfetzen zur Friedhofsmauer hoch. 500000 Gäste kommen jedes Jahr nach Hallstatt, und man kann sich denken, dass das die Platzsituation nicht unbedingt verbessert.

Aber verstehen kann man sie schon, die Menschen. Denn bis auf Platz hat Hallstatt vieles zu bieten: Charme, Weltkulturerbe und Totenrituale, Humor, Tristesse und Literaturgeschichte. Und natürlich die imposante Landschaft: Gleich hinter dem gegenüberliegenden Seeufer erheben sich Dachstein, Daumen, Seewand und Krippenstein. „Zur Wintersonnenwende zeigt sich die Sonne hier für genau fünf Sekunden“, sagt Idam, als wollte er das Bild relativieren. Im Echerntal scheine sogar zwei Monate lang überhaupt nicht die Sonne, und das müsse man erst mal aushalten. Auch das gehört zu Hallstatt: Die Finsternis ist nie weit weg.

So verwunderlich ist es also gar nicht, dass die Hauptattraktion des Ortes das Beinhaus mit seinen Totenschädeln ist. Das steht hinter der Friedhofsmauer, hinter den gerade mal anderthalb Meter langen Gräbern, hinter den Bronzetafeln, auf denen bis zu sechs Namen stehen. Vor dem „Karner“, wie das Beinhaus hier heißt, sitzt in einem auffallend hässlichen Kassierhäuschen eine alte Frau und verlangt von all jenen zwei Euro Eintritt, die hineinwollen. „Als ich hier gearbeitet habe, kostete es einen Schilling, also sieben Cent“, sagt Idam und schüttelt den Kopf. Uns lässt die Frau umsonst hinein, denn wenn der Totengräber kommt, dann kann man kein Geld verlangen. Dann blicken uns unvermittelt die 1200 Totenschädel an, alle zugleich, und das ist schon ein merkwürdiger Moment.

Idam, das muss man dazusagen, ist nicht nur optisch das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Totengräber vorstellt. Er hat in Wien Architektur studiert, im Anschluss über Industriearchäologie promoviert und arbeitet heute als Professor an der Bundeslehranstalt für Möbel- und Innenraumgestaltung und als beratender Denkmalpfleger.

Seite 2: Traumberuf Totengräber?

Im Beinhaus beginnt Idam schließlich seine Totengräbergeschichte zu erzählen. „Ich war damals der Holzbildhauer-Schule wegen nach Hallstatt gekommen und wollte nach meinem Abschluss unbedingt hierbleiben.“ Er wusste, dass die Gemeinde einen neuen Totengräber suchte und dass, wer dieses Amt ausübt, in dem kleinen Haus oben am Friedhof wohnen durfte. „Ich konnte mir aber wirklich vorstellen, als Totengräber zu arbeiten“, sagt er heute und findet noch immer: „Totengräber hat als Beruf Qualitäten, die man sonst kaum findet: Man hat dabei körperlich und seelisch ein gutes Gefühl. Man ist draußen, strengt sich körperlich an, und es ist vollkommen klar, dass die Arbeit sinnvoll ist.“ Und so arbeitete Friedrich Idam von 1980 bis 1987 mit Schaufel und Spitzhacke auf dem Friedhof als Totengräber von Hallstatt. Er war der letzte, den der Ort sich leistete.

Mag der Beruf des Totengräbers schon speziell genug anmuten, in Hallstatt war er noch ein bisschen spezieller. Und damit wären wir wieder beim Platzproblem: In einem Ort, der so zwischen Berg und See eingeklemmt ist, ist nicht nur der Platz für die Lebenden, sondern auch der für die Toten zu knapp. Idam musste sie also nach einigen Jahren wieder ausgraben, ihre Schädel bleichen und dann mit Rosen, Lorbeer, Eichenlaub oder Efeu symbolisch bemalen und im Beinhaus ausstellen.

Wenn man Friedrich Idam so erzählen hört, ist es schon fast schade, dass Hallstatt heute keinen Totengräber mehr braucht. Viele Menschen sind abgewandert und sterben nicht mehr im Ort. Außerdem gibt es im Echerntal einen Urnenhain, auf dem die meisten Verstorbenen feuerbestattet sind. Aber einige wenige lassen noch heute testamentarisch verfügen, dass sie ins Beinhaus wollen.

Dann werden sie, wie früher, oben am Friedhof bestattet und nach Jahren wieder ausgegraben. Allerdings nicht vom Hallstätter Totengräber, sondern von einem Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens in Bad Ischl. Idam wird irgendwann einer von ihnen sein. „Na“, sagt er, als wir wieder nach draußen gehen, „das wäre doch sonst, wie wenn ein Metzger Vegetarier ist.“

Hallstatt

Anreise
Per Flugzeug nach Salzburg, etwa ab Frankfurt mit Lufthansa (www.lufthansa.com) oder ab Stuttgart mit Airberlin (www.airberlin.com). Von dort braucht man mit dem Zug oder per Shuttle nochmals eine gute Fahrstunde. Der Zug hält allerdings nicht in Hallstatt (dort ist zu wenig Platz), sondern am gegenüberliegenden Ufer des Hallstätter Sees – der letzte Kilometer wird folglich mit dem Schiff zurückgelegt.

Unterkunft
Das Heritage Hotel Hallstatt besteht aus drei verschiedenen Häusern im Ortszentrum. Mehr unter www.heritagehotel.at. Weitere Hotels unter www.hallstatt.net

Aktivitäten
Durch die Berge bei Hallstatt führen viele attraktive Wanderwege in allen Schwierigkeitsgraden: Vom Themenweg durch den Ort bis zum Echernwandklettersteig, der direkt durch die Wand hinauf zum Salzbergwerk führt. Sehr zu empfehlen ist auch eine Bahnfahrt hinauf zur Aussichtsplattform auf dem Dachstein. Außerdem fährt die Salzbergbahn von Hallstatt aus in drei Minuten hinauf zum Salzbergwerk. Das kann man auf einer geführten Erlebnistour in circa zwei Stunden erkunden. Ein Kombiticket für zwei Erwachsene und ein Kind kostet inkl. Bergbahn 50 Euro (www.salzwelten.at).

Literatur
Der österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr hat die Kurzgeschichte „Die ersten Jahre der Ewigkeit“ über Hallstatt und seinen Totengräber geschrieben, erschienen in: „Der Weg nach Surabaya“, Fischer Verlag, 8,95 Euro.

Adalbert Stifters Erzählung „Der Bergkristall“ spielt ebenfalls in den Bergen bei Hallstatt, nachzulesen in „Bunte Steine“, Reclam Verlag, 8,80 Euro.

Allgemeine Informationen
zum Ort und zur Region unter www.hallstatt.net und www.oberoesterreich-tourismus.at